Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Der Scheidende mich an und rief mich laut; "Ein edel Volk ist hier auf Korsika;" Schrieb freudig er im letzten Briefe mir, "Wie wenn ein zahmer Hirsch zum Walde kehrt "Und seine Brüder trifft, so bin ich hier, "Und mir bewegt im Männerkriege sich "Die Brust, daß ich von allem Weh genese. "Wie lebst Du, theure Seele! und der Vater? "Hier unter frohem Himmel, wo zu schnell "Die Frühlinge nicht altern, und der Herbst "Aus lauer Luft die goldnen Früchte streut. "Auf dieser guten Insel werden wir "Uns wiedersehen; dieß ist meine Hoffnung. "Ich lobe mir den Feldherrn. Oft im Traum' "Hab' ich ihn fast gesehen, wie er ist, "Mein Paoli, noch eh' er freundlich mich "Empfing und zärtlich vorzog, wie der Vater "Den Jüngstgebornen, der es mehr bedarf. "Und schämen muß ich vor den andern mich, Der Scheidende mich an und rief mich laut; „Ein edel Volk iſt hier auf Korſika;“ Schrieb freudig er im letzten Briefe mir, „Wie wenn ein zahmer Hirſch zum Walde kehrt „Und ſeine Bruͤder trifft, ſo bin ich hier, „Und mir bewegt im Maͤnnerkriege ſich „Die Bruſt, daß ich von allem Weh geneſe. „Wie lebſt Du, theure Seele! und der Vater? „Hier unter frohem Himmel, wo zu ſchnell „Die Fruͤhlinge nicht altern, und der Herbſt „Aus lauer Luft die goldnen Fruͤchte ſtreut. „Auf dieſer guten Inſel werden wir „Uns wiederſehen; dieß iſt meine Hoffnung. „Ich lobe mir den Feldherrn. Oft im Traum' „Hab' ich ihn faſt geſehen, wie er iſt, „Mein Paoli, noch eh' er freundlich mich „Empfing und zaͤrtlich vorzog, wie der Vater „Den Juͤngſtgebornen, der es mehr bedarf. „Und ſchaͤmen muß ich vor den andern mich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="7"> <pb facs="#f0098" n="90"/> <l>Der Scheidende mich an und rief mich laut;</l><lb/> <l>Mir bebt' es durch die Glieder, und er hielt</l><lb/> <l>Mich zaͤrtlich feſt, in ſeinen Armen ſtaͤrkte</l><lb/> <l>Der Starke mir das Herz, und da ich aufſah</l><lb/> <l>Nach meinem Lieben, war er fortgeeilt.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>„Ein edel Volk iſt hier auf Korſika;“</l><lb/> <l>Schrieb freudig er im letzten Briefe mir,</l><lb/> <l>„Wie wenn ein zahmer Hirſch zum Walde kehrt</l><lb/> <l>„Und ſeine Bruͤder trifft, ſo bin ich hier,</l><lb/> <l>„Und mir bewegt im Maͤnnerkriege ſich</l><lb/> <l>„Die Bruſt, daß ich von allem Weh geneſe.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>„Wie lebſt Du, theure Seele! und der Vater?</l><lb/> <l>„Hier unter frohem Himmel, wo zu ſchnell</l><lb/> <l>„Die Fruͤhlinge nicht altern, und der Herbſt</l><lb/> <l>„Aus lauer Luft die goldnen Fruͤchte ſtreut.</l><lb/> <l>„Auf dieſer guten Inſel werden wir</l><lb/> <l>„Uns wiederſehen; dieß iſt meine Hoffnung.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>„Ich lobe mir den Feldherrn. Oft im Traum'</l><lb/> <l>„Hab' ich ihn faſt geſehen, wie er iſt,</l><lb/> <l>„Mein Paoli, noch eh' er freundlich mich</l><lb/> <l>„Empfing und zaͤrtlich vorzog, wie der Vater</l><lb/> <l>„Den Juͤngſtgebornen, der es mehr bedarf.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>„Und ſchaͤmen muß ich vor den andern mich,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0098]
Der Scheidende mich an und rief mich laut;
Mir bebt' es durch die Glieder, und er hielt
Mich zaͤrtlich feſt, in ſeinen Armen ſtaͤrkte
Der Starke mir das Herz, und da ich aufſah
Nach meinem Lieben, war er fortgeeilt.
„Ein edel Volk iſt hier auf Korſika;“
Schrieb freudig er im letzten Briefe mir,
„Wie wenn ein zahmer Hirſch zum Walde kehrt
„Und ſeine Bruͤder trifft, ſo bin ich hier,
„Und mir bewegt im Maͤnnerkriege ſich
„Die Bruſt, daß ich von allem Weh geneſe.
„Wie lebſt Du, theure Seele! und der Vater?
„Hier unter frohem Himmel, wo zu ſchnell
„Die Fruͤhlinge nicht altern, und der Herbſt
„Aus lauer Luft die goldnen Fruͤchte ſtreut.
„Auf dieſer guten Inſel werden wir
„Uns wiederſehen; dieß iſt meine Hoffnung.
„Ich lobe mir den Feldherrn. Oft im Traum'
„Hab' ich ihn faſt geſehen, wie er iſt,
„Mein Paoli, noch eh' er freundlich mich
„Empfing und zaͤrtlich vorzog, wie der Vater
„Den Juͤngſtgebornen, der es mehr bedarf.
„Und ſchaͤmen muß ich vor den andern mich,
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/98>, abgerufen am 23.07.2024. |