Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Er sah die dämmernden Gebiete,
Wohin das Herz in banger Lust begehrt,
Er streuete der Hoffnung süße Blüthe
Ins Labyrinth, wo Keiner wiederkehrt,
Dort glänzte nun in mildem Rosenlichte
Der Lieb' und Ruh' ein lächelnd Heiligthum,
Er pflanzte dort der Hesperiden Früchte,
Dort stillt die Sorgen nun Elysium.
Doch schrecklich war, du Gott der Kühnen!
Dein heilig Wort, wenn unter Nacht und Schlaf
Verkündiger des ew'gen Lichts erschienen,
Und den Betrug der Wahrheit Flamme traf!
Wie seinen Blitz aus hoheu Wetternächten
Der Donnerer auf lange Thale streut,
So zeigtest du entarteten Geschlechten
Der Riesen Sturz, der Völker Sterblichkeit.
Du wogst mit streng gerechter Schale,
Wenn mit der Wage du das Schwerdt vertauscht,
Du sprachst, sie wankten, die Sardanapale,
Vom Taumelkelche deines Zorns berauscht;
Es schreckt umsonst mit ihrem Tiegergrimme
Dein Tribunal die alte Finsterniß,
Du hörtest ernst der Unschuld leise Stimme,
Und opfertest der heil'gen Nemesis.
Er ſah die daͤmmernden Gebiete,
Wohin das Herz in banger Luſt begehrt,
Er ſtreuete der Hoffnung ſuͤße Bluͤthe
Ins Labyrinth, wo Keiner wiederkehrt,
Dort glaͤnzte nun in mildem Roſenlichte
Der Lieb' und Ruh' ein laͤchelnd Heiligthum,
Er pflanzte dort der Heſperiden Fruͤchte,
Dort ſtillt die Sorgen nun Elyſium.
Doch ſchrecklich war, du Gott der Kuͤhnen!
Dein heilig Wort, wenn unter Nacht und Schlaf
Verkuͤndiger des ew'gen Lichts erſchienen,
Und den Betrug der Wahrheit Flamme traf!
Wie ſeinen Blitz aus hoheu Wetternaͤchten
Der Donnerer auf lange Thale ſtreut,
So zeigteſt du entarteten Geſchlechten
Der Rieſen Sturz, der Voͤlker Sterblichkeit.
Du wogſt mit ſtreng gerechter Schale,
Wenn mit der Wage du das Schwerdt vertauſcht,
Du ſprachſt, ſie wankten, die Sardanapale,
Vom Taumelkelche deines Zorns berauſcht;
Es ſchreckt umſonſt mit ihrem Tiegergrimme
Dein Tribunal die alte Finſterniß,
Du hoͤrteſt ernſt der Unſchuld leiſe Stimme,
Und opferteſt der heil'gen Nemeſis.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0018" n="10"/>
          <lg n="6">
            <l>Er &#x017F;ah die da&#x0364;mmernden Gebiete,</l><lb/>
            <l>Wohin das Herz in banger Lu&#x017F;t begehrt,</l><lb/>
            <l>Er &#x017F;treuete der Hoffnung &#x017F;u&#x0364;ße Blu&#x0364;the</l><lb/>
            <l>Ins Labyrinth, wo Keiner wiederkehrt,</l><lb/>
            <l>Dort gla&#x0364;nzte nun in mildem Ro&#x017F;enlichte</l><lb/>
            <l>Der Lieb' und Ruh' ein la&#x0364;chelnd Heiligthum,</l><lb/>
            <l>Er pflanzte dort der He&#x017F;periden Fru&#x0364;chte,</l><lb/>
            <l>Dort &#x017F;tillt die Sorgen nun Ely&#x017F;ium.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="7">
            <l>Doch &#x017F;chrecklich war, du Gott der Ku&#x0364;hnen!</l><lb/>
            <l>Dein heilig Wort, wenn unter Nacht und Schlaf</l><lb/>
            <l>Verku&#x0364;ndiger des ew'gen Lichts er&#x017F;chienen,</l><lb/>
            <l>Und den Betrug der Wahrheit Flamme traf!</l><lb/>
            <l>Wie &#x017F;einen Blitz aus hoheu Wetterna&#x0364;chten</l><lb/>
            <l>Der Donnerer auf lange Thale &#x017F;treut,</l><lb/>
            <l>So zeigte&#x017F;t du entarteten Ge&#x017F;chlechten</l><lb/>
            <l>Der Rie&#x017F;en Sturz, der Vo&#x0364;lker Sterblichkeit.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="8">
            <l>Du wog&#x017F;t mit &#x017F;treng gerechter Schale,</l><lb/>
            <l>Wenn mit der Wage du das Schwerdt vertau&#x017F;cht,</l><lb/>
            <l>Du &#x017F;prach&#x017F;t, &#x017F;ie wankten, die Sardanapale,</l><lb/>
            <l>Vom Taumelkelche deines Zorns berau&#x017F;cht;</l><lb/>
            <l>Es &#x017F;chreckt um&#x017F;on&#x017F;t mit ihrem Tiegergrimme</l><lb/>
            <l>Dein Tribunal die alte Fin&#x017F;terniß,</l><lb/>
            <l>Du ho&#x0364;rte&#x017F;t ern&#x017F;t der Un&#x017F;chuld lei&#x017F;e Stimme,</l><lb/>
            <l>Und opferte&#x017F;t der heil'gen Neme&#x017F;is.</l>
          </lg><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0018] Er ſah die daͤmmernden Gebiete, Wohin das Herz in banger Luſt begehrt, Er ſtreuete der Hoffnung ſuͤße Bluͤthe Ins Labyrinth, wo Keiner wiederkehrt, Dort glaͤnzte nun in mildem Roſenlichte Der Lieb' und Ruh' ein laͤchelnd Heiligthum, Er pflanzte dort der Heſperiden Fruͤchte, Dort ſtillt die Sorgen nun Elyſium. Doch ſchrecklich war, du Gott der Kuͤhnen! Dein heilig Wort, wenn unter Nacht und Schlaf Verkuͤndiger des ew'gen Lichts erſchienen, Und den Betrug der Wahrheit Flamme traf! Wie ſeinen Blitz aus hoheu Wetternaͤchten Der Donnerer auf lange Thale ſtreut, So zeigteſt du entarteten Geſchlechten Der Rieſen Sturz, der Voͤlker Sterblichkeit. Du wogſt mit ſtreng gerechter Schale, Wenn mit der Wage du das Schwerdt vertauſcht, Du ſprachſt, ſie wankten, die Sardanapale, Vom Taumelkelche deines Zorns berauſcht; Es ſchreckt umſonſt mit ihrem Tiegergrimme Dein Tribunal die alte Finſterniß, Du hoͤrteſt ernſt der Unſchuld leiſe Stimme, Und opferteſt der heil'gen Nemeſis.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/18
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/18>, abgerufen am 20.04.2024.