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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Da die Lektüre ein Haupttheil des Un-
terrichts und eigener Belehrung und Bildung
ist: so gebührt ihr auch ein großer Einfluß auf
die Moralität und das Glück der Menschen.
Wenn man ihr diesen einräumt: so hebt man
aber dadurch nicht ihren Einfluß auf die Jm-
moralität auf. Die Beschaffenheit der Wir-
kung hängt von der Beschaffenheit der Ursach
ab. Die letztere wird aus der erstern erkannt, und
diese erhält durch jene ihre Stärke und ihren
Werth. Dem Jnhalte des Buchs wird auch
die Wirkung desselben entsprechen; eigene Festig-
keit des Charakters und zufällige Dinge können
sie abändern oder unterdrücken. Vorbereitun-
gen und subjektivische Verhältnisse geben
ihr das angenehme und unangenehme. Gute
Grundsätze können in dem Leser eine höhere
Theilnahme, so wie schlechte einen Abscheu her-
vorbringen; daß es nicht immer geschiehet be-
weist die Erfahrung. Sittliche Vorstellungen
können sittliche Empfindungen und Entschließun-
gen hervorbringen, so wie unsittliche, das Ge-
gentheil von jenen. Aber auch diese leztern brin-
gen nicht selten angenehme Empfindungen her-
vor; es beruhet dies, wie schon gesagt, auf
Vorbereitungen und eigenen Verhältnisse und

G 2

Da die Lektuͤre ein Haupttheil des Un-
terrichts und eigener Belehrung und Bildung
iſt: ſo gebuͤhrt ihr auch ein großer Einfluß auf
die Moralitaͤt und das Gluͤck der Menſchen.
Wenn man ihr dieſen einraͤumt: ſo hebt man
aber dadurch nicht ihren Einfluß auf die Jm-
moralitaͤt auf. Die Beſchaffenheit der Wir-
kung haͤngt von der Beſchaffenheit der Urſach
ab. Die letztere wird aus der erſtern erkannt, und
dieſe erhaͤlt durch jene ihre Staͤrke und ihren
Werth. Dem Jnhalte des Buchs wird auch
die Wirkung deſſelben entſprechen; eigene Feſtig-
keit des Charakters und zufaͤllige Dinge koͤnnen
ſie abaͤndern oder unterdruͤcken. Vorbereitun-
gen und ſubjektiviſche Verhaͤltniſſe geben
ihr das angenehme und unangenehme. Gute
Grundſaͤtze koͤnnen in dem Leſer eine hoͤhere
Theilnahme, ſo wie ſchlechte einen Abſcheu her-
vorbringen; daß es nicht immer geſchiehet be-
weiſt die Erfahrung. Sittliche Vorſtellungen
koͤnnen ſittliche Empfindungen und Entſchließun-
gen hervorbringen, ſo wie unſittliche, das Ge-
gentheil von jenen. Aber auch dieſe leztern brin-
gen nicht ſelten angenehme Empfindungen her-
vor; es beruhet dies, wie ſchon geſagt, auf
Vorbereitungen und eigenen Verhaͤltniſſe und

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[99/0099] Am 8ten des Februars. Da die Lektuͤre ein Haupttheil des Un- terrichts und eigener Belehrung und Bildung iſt: ſo gebuͤhrt ihr auch ein großer Einfluß auf die Moralitaͤt und das Gluͤck der Menſchen. Wenn man ihr dieſen einraͤumt: ſo hebt man aber dadurch nicht ihren Einfluß auf die Jm- moralitaͤt auf. Die Beſchaffenheit der Wir- kung haͤngt von der Beſchaffenheit der Urſach ab. Die letztere wird aus der erſtern erkannt, und dieſe erhaͤlt durch jene ihre Staͤrke und ihren Werth. Dem Jnhalte des Buchs wird auch die Wirkung deſſelben entſprechen; eigene Feſtig- keit des Charakters und zufaͤllige Dinge koͤnnen ſie abaͤndern oder unterdruͤcken. Vorbereitun- gen und ſubjektiviſche Verhaͤltniſſe geben ihr das angenehme und unangenehme. Gute Grundſaͤtze koͤnnen in dem Leſer eine hoͤhere Theilnahme, ſo wie ſchlechte einen Abſcheu her- vorbringen; daß es nicht immer geſchiehet be- weiſt die Erfahrung. Sittliche Vorſtellungen koͤnnen ſittliche Empfindungen und Entſchließun- gen hervorbringen, ſo wie unſittliche, das Ge- gentheil von jenen. Aber auch dieſe leztern brin- gen nicht ſelten angenehme Empfindungen her- vor; es beruhet dies, wie ſchon geſagt, auf Vorbereitungen und eigenen Verhaͤltniſſe und G 2

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/99>, abgerufen am 01.05.2024.