Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Sätzen scientifischer Ordnung, und läßt sich an-
genehm und nüzlich unterhalten. Aber wie
viele solcher Bücher, die in unsern Lesegesellschaf-
ten zirkuliren, mögen dies Verdienst haben? --
Die schaalsten Romane, das albernste Zeug, wo
wol gar noch am Rande einige Stellen als
vorzüglich schön angestrichen sind, wo die Stri-
che aber weiter nichts als eine Note auf den
Verstand des Anstreichers sind, fiehet man so be-
schmutzt, daß man sie aus Ekel nicht in die Hand
nehmen mag. Gute, nützliche Bücher, sind nicht
einmal aufgeschnitten!

Jch muß mich jezt noch über die Gleichgül-
tigkeit bei der Lektüre erklären. Man hört nicht
selten selbst von Modelesern die Worte "dies
Buch ist mir gleichgültig, es interessirt mich nicht,
ich will es aber doch lesen. Das hiesse also besser
so: "ich lese ohne Zweck, ich erwarte weder Ver-
gnügen noch Mißvergnügen von diesem Buche,
ich begehre nichts und verabscheue nichts daraus."
Wenn dies ist: so möchte ich wissen warum man
liest, und nicht lieber eine andere Beschäftigung
wählt. Eine völlig gleichgültige Lektüre ist ein
Unding, und eine solche Beschäftigung würde
einen wirklich elenden Zustand verrathen. --
Man war in irgend einer Lage die mißbehagte,
man wollte sich daraus versetzen und nahm ein

Saͤtzen ſcientifiſcher Ordnung, und laͤßt ſich an-
genehm und nuͤzlich unterhalten. Aber wie
viele ſolcher Buͤcher, die in unſern Leſegeſellſchaf-
ten zirkuliren, moͤgen dies Verdienſt haben? —
Die ſchaalſten Romane, das albernſte Zeug, wo
wol gar noch am Rande einige Stellen als
vorzuͤglich ſchoͤn angeſtrichen ſind, wo die Stri-
che aber weiter nichts als eine Note auf den
Verſtand des Anſtreichers ſind, fiehet man ſo be-
ſchmutzt, daß man ſie aus Ekel nicht in die Hand
nehmen mag. Gute, nuͤtzliche Buͤcher, ſind nicht
einmal aufgeſchnitten!

Jch muß mich jezt noch uͤber die Gleichguͤl-
tigkeit bei der Lektuͤre erklaͤren. Man hoͤrt nicht
ſelten ſelbſt von Modeleſern die Worte ”dies
Buch iſt mir gleichguͤltig, es intereſſirt mich nicht,
ich will es aber doch leſen. Das hieſſe alſo beſſer
ſo: “ich leſe ohne Zweck, ich erwarte weder Ver-
gnuͤgen noch Mißvergnuͤgen von dieſem Buche,
ich begehre nichts und verabſcheue nichts daraus.”
Wenn dies iſt: ſo moͤchte ich wiſſen warum man
lieſt, und nicht lieber eine andere Beſchaͤftigung
waͤhlt. Eine voͤllig gleichguͤltige Lektuͤre iſt ein
Unding, und eine ſolche Beſchaͤftigung wuͤrde
einen wirklich elenden Zuſtand verrathen. —
Man war in irgend einer Lage die mißbehagte,
man wollte ſich daraus verſetzen und nahm ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="95"/>
Sa&#x0364;tzen &#x017F;cientifi&#x017F;cher Ordnung, und la&#x0364;ßt &#x017F;ich an-<lb/>
genehm und nu&#x0364;zlich unterhalten. Aber wie<lb/>
viele &#x017F;olcher Bu&#x0364;cher, die in un&#x017F;ern Le&#x017F;ege&#x017F;ell&#x017F;chaf-<lb/>
ten zirkuliren, mo&#x0364;gen dies Verdien&#x017F;t haben? &#x2014;<lb/>
Die &#x017F;chaal&#x017F;ten Romane, das albern&#x017F;te Zeug, wo<lb/>
wol gar noch am Rande einige Stellen als<lb/>
vorzu&#x0364;glich &#x017F;cho&#x0364;n ange&#x017F;trichen &#x017F;ind, wo die Stri-<lb/>
che aber weiter nichts als eine Note auf den<lb/>
Ver&#x017F;tand des An&#x017F;treichers &#x017F;ind, fiehet man &#x017F;o be-<lb/>
&#x017F;chmutzt, daß man &#x017F;ie aus Ekel nicht in die Hand<lb/>
nehmen mag. Gute, nu&#x0364;tzliche Bu&#x0364;cher, &#x017F;ind nicht<lb/>
einmal aufge&#x017F;chnitten!</p><lb/>
        <p>Jch muß mich jezt noch u&#x0364;ber die Gleichgu&#x0364;l-<lb/>
tigkeit bei der Lektu&#x0364;re erkla&#x0364;ren. Man ho&#x0364;rt nicht<lb/>
&#x017F;elten &#x017F;elb&#x017F;t von Modele&#x017F;ern die Worte &#x201D;dies<lb/>
Buch i&#x017F;t mir gleichgu&#x0364;ltig, es intere&#x017F;&#x017F;irt mich nicht,<lb/>
ich will es aber doch le&#x017F;en. Das hie&#x017F;&#x017F;e al&#x017F;o be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;o: &#x201C;ich le&#x017F;e ohne Zweck, ich erwarte weder Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen noch Mißvergnu&#x0364;gen von die&#x017F;em Buche,<lb/>
ich begehre nichts und verab&#x017F;cheue nichts daraus.&#x201D;<lb/>
Wenn dies i&#x017F;t: &#x017F;o mo&#x0364;chte ich wi&#x017F;&#x017F;en warum man<lb/>
lie&#x017F;t, und nicht lieber eine andere Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung<lb/>
wa&#x0364;hlt. Eine vo&#x0364;llig gleichgu&#x0364;ltige Lektu&#x0364;re i&#x017F;t ein<lb/>
Unding, und eine &#x017F;olche Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung wu&#x0364;rde<lb/>
einen wirklich elenden Zu&#x017F;tand verrathen. &#x2014;<lb/>
Man war in irgend einer Lage die mißbehagte,<lb/>
man wollte &#x017F;ich daraus ver&#x017F;etzen und nahm ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0095] Saͤtzen ſcientifiſcher Ordnung, und laͤßt ſich an- genehm und nuͤzlich unterhalten. Aber wie viele ſolcher Buͤcher, die in unſern Leſegeſellſchaf- ten zirkuliren, moͤgen dies Verdienſt haben? — Die ſchaalſten Romane, das albernſte Zeug, wo wol gar noch am Rande einige Stellen als vorzuͤglich ſchoͤn angeſtrichen ſind, wo die Stri- che aber weiter nichts als eine Note auf den Verſtand des Anſtreichers ſind, fiehet man ſo be- ſchmutzt, daß man ſie aus Ekel nicht in die Hand nehmen mag. Gute, nuͤtzliche Buͤcher, ſind nicht einmal aufgeſchnitten! Jch muß mich jezt noch uͤber die Gleichguͤl- tigkeit bei der Lektuͤre erklaͤren. Man hoͤrt nicht ſelten ſelbſt von Modeleſern die Worte ”dies Buch iſt mir gleichguͤltig, es intereſſirt mich nicht, ich will es aber doch leſen. Das hieſſe alſo beſſer ſo: “ich leſe ohne Zweck, ich erwarte weder Ver- gnuͤgen noch Mißvergnuͤgen von dieſem Buche, ich begehre nichts und verabſcheue nichts daraus.” Wenn dies iſt: ſo moͤchte ich wiſſen warum man lieſt, und nicht lieber eine andere Beſchaͤftigung waͤhlt. Eine voͤllig gleichguͤltige Lektuͤre iſt ein Unding, und eine ſolche Beſchaͤftigung wuͤrde einen wirklich elenden Zuſtand verrathen. — Man war in irgend einer Lage die mißbehagte, man wollte ſich daraus verſetzen und nahm ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/95
Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/95>, abgerufen am 01.05.2024.