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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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"ihrer Seelenkräfte bestehen, wobei sie gewis-
"Mängel und Unvollkommenheiten am wenig-
"sten empfinden. Sittliche Gegenstände sitt-
"lich und mit aller Delikatesse der Schreibart
"vorgestellt würden beide Zwecke erfüllen, auf
"das Herz und Empfindungen wirken, und
"dadurch das edelste Vergnügen hervorbringen,
"-- Jst es ein schönes Werk im ästhetischen Sin-
"ne: so gibt es den Leserinnen eine größere
"Summe von Vergnügen, wenn es ihnen das
"Gefühl gewisser eigenen Vollkommenheit gibt.
"Eine unübersehbare Reihe von Gegenständen
"verwirrt und ermüdet. Sollen sie Vergnü-
"gen geben: so muß eine symmetrische Ordnung
"die Uebersicht erleichtern."

Das Verdienst unserer Schriftsteller ist da-
her nicht geringe, die ein Chaos von Materialien
so verarbeiten daß es genießbar wird, die Nutzen
und Vergnügen so zu verbinden wissen, daß sie
unzertrennlich sind, das Herz erwärmen und den
Verstand interessiren. Wer abstrakte philosophi-
sche Sätze in einen Roman brächte, sie in Re-
den und Handlungen schön und wahr ausdrückte,
und sie so für das praktische Leben anwendbar
machte, verdiente den Namen eines belehrenden
und vergnügenden Schriftstellers. Auch der ab-
strakteste Denker nimmt gern einmal ein solches
Buch zur Hand, vergißt seine Reihen von

„ihrer Seelenkraͤfte beſtehen, wobei ſie gewiſ-
„Maͤngel und Unvollkommenheiten am wenig-
„ſten empfinden. Sittliche Gegenſtaͤnde ſitt-
„lich und mit aller Delikateſſe der Schreibart
„vorgeſtellt wuͤrden beide Zwecke erfuͤllen, auf
„das Herz und Empfindungen wirken, und
„dadurch das edelſte Vergnuͤgen hervorbringen,
„— Jſt es ein ſchoͤnes Werk im aͤſthetiſchen Sin-
„ne: ſo gibt es den Leſerinnen eine groͤßere
„Summe von Vergnuͤgen, wenn es ihnen das
„Gefuͤhl gewiſſer eigenen Vollkommenheit gibt.
„Eine unuͤberſehbare Reihe von Gegenſtaͤnden
„verwirrt und ermuͤdet. Sollen ſie Vergnuͤ-
„gen geben: ſo muß eine ſymmetriſche Ordnung
„die Ueberſicht erleichtern.”

Das Verdienſt unſerer Schriftſteller iſt da-
her nicht geringe, die ein Chaos von Materialien
ſo verarbeiten daß es genießbar wird, die Nutzen
und Vergnuͤgen ſo zu verbinden wiſſen, daß ſie
unzertrennlich ſind, das Herz erwaͤrmen und den
Verſtand intereſſiren. Wer abſtrakte philoſophi-
ſche Saͤtze in einen Roman braͤchte, ſie in Re-
den und Handlungen ſchoͤn und wahr ausdruͤckte,
und ſie ſo fuͤr das praktiſche Leben anwendbar
machte, verdiente den Namen eines belehrenden
und vergnuͤgenden Schriftſtellers. Auch der ab-
ſtrakteſte Denker nimmt gern einmal ein ſolches
Buch zur Hand, vergißt ſeine Reihen von

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[94/0094] „ihrer Seelenkraͤfte beſtehen, wobei ſie gewiſ- „Maͤngel und Unvollkommenheiten am wenig- „ſten empfinden. Sittliche Gegenſtaͤnde ſitt- „lich und mit aller Delikateſſe der Schreibart „vorgeſtellt wuͤrden beide Zwecke erfuͤllen, auf „das Herz und Empfindungen wirken, und „dadurch das edelſte Vergnuͤgen hervorbringen, „— Jſt es ein ſchoͤnes Werk im aͤſthetiſchen Sin- „ne: ſo gibt es den Leſerinnen eine groͤßere „Summe von Vergnuͤgen, wenn es ihnen das „Gefuͤhl gewiſſer eigenen Vollkommenheit gibt. „Eine unuͤberſehbare Reihe von Gegenſtaͤnden „verwirrt und ermuͤdet. Sollen ſie Vergnuͤ- „gen geben: ſo muß eine ſymmetriſche Ordnung „die Ueberſicht erleichtern.” Das Verdienſt unſerer Schriftſteller iſt da- her nicht geringe, die ein Chaos von Materialien ſo verarbeiten daß es genießbar wird, die Nutzen und Vergnuͤgen ſo zu verbinden wiſſen, daß ſie unzertrennlich ſind, das Herz erwaͤrmen und den Verſtand intereſſiren. Wer abſtrakte philoſophi- ſche Saͤtze in einen Roman braͤchte, ſie in Re- den und Handlungen ſchoͤn und wahr ausdruͤckte, und ſie ſo fuͤr das praktiſche Leben anwendbar machte, verdiente den Namen eines belehrenden und vergnuͤgenden Schriftſtellers. Auch der ab- ſtrakteſte Denker nimmt gern einmal ein ſolches Buch zur Hand, vergißt ſeine Reihen von

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/94>, abgerufen am 30.04.2024.