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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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lichkeiten der damaligen Geistlichen aufdeckt. Aber
verzeihen kann man es doch nicht gut, wenn
man die Leser vorsetzlich darauf hinzuleiten sucht
von jenen einen nachtheiligen Schluß auf den
jetzigen Stand zu machen. Sey es Muthwille
oder Vorsatz, so bleibt es immer sehr schlecht.
Bei den Fehlern anderer Menschen ist man oft
zu tolerant, warum denn nun bei dieser Klasse so
sehr intolerant? sie sind und bleiben auch Men-
schen. Daß man von ihnen fordert das zu seyn,
was sie lehren, ist billig und gerecht, aber eben so
gerecht ist auch manche Nachsicht. Wie viele vor-
trefliche Männer sind darunter, die Muster der
Rechtschaffenheit sind, die mit Herz und Hand
das sind, was sie andere zu seyn lehren! Dies
leugnen wollen, wäre Unsinn. Unter hundert
Menschen giebt es ja wol auch einen der nicht
ist was er seyn soll, man nehme ihn aus der
Zahl heraus, verdamme aber nicht die neun
und neunzig mit ihm, oder man dulde ihn um
dieser willen so lange er noch Nutzen stiften
kann.

Es ist gar keinem Zweifel unterworfen daß
die Rittermähren den geistlichen Stand herab-
setzen, die Beweise kann man von Jung und
Alt hernehmen. Man hört so gar die Ausdrücke
aus jenen Büchern auf die Prediger anwenden.
Jch möchte den Stand sehen, der sich dies so

lichkeiten der damaligen Geiſtlichen aufdeckt. Aber
verzeihen kann man es doch nicht gut, wenn
man die Leſer vorſetzlich darauf hinzuleiten ſucht
von jenen einen nachtheiligen Schluß auf den
jetzigen Stand zu machen. Sey es Muthwille
oder Vorſatz, ſo bleibt es immer ſehr ſchlecht.
Bei den Fehlern anderer Menſchen iſt man oft
zu tolerant, warum denn nun bei dieſer Klaſſe ſo
ſehr intolerant? ſie ſind und bleiben auch Men-
ſchen. Daß man von ihnen fordert das zu ſeyn,
was ſie lehren, iſt billig und gerecht, aber eben ſo
gerecht iſt auch manche Nachſicht. Wie viele vor-
trefliche Maͤnner ſind darunter, die Muſter der
Rechtſchaffenheit ſind, die mit Herz und Hand
das ſind, was ſie andere zu ſeyn lehren! Dies
leugnen wollen, waͤre Unſinn. Unter hundert
Menſchen giebt es ja wol auch einen der nicht
iſt was er ſeyn ſoll, man nehme ihn aus der
Zahl heraus, verdamme aber nicht die neun
und neunzig mit ihm, oder man dulde ihn um
dieſer willen ſo lange er noch Nutzen ſtiften
kann.

Es iſt gar keinem Zweifel unterworfen daß
die Rittermaͤhren den geiſtlichen Stand herab-
ſetzen, die Beweiſe kann man von Jung und
Alt hernehmen. Man hoͤrt ſo gar die Ausdruͤcke
aus jenen Buͤchern auf die Prediger anwenden.
Jch moͤchte den Stand ſehen, der ſich dies ſo

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[60/0060] lichkeiten der damaligen Geiſtlichen aufdeckt. Aber verzeihen kann man es doch nicht gut, wenn man die Leſer vorſetzlich darauf hinzuleiten ſucht von jenen einen nachtheiligen Schluß auf den jetzigen Stand zu machen. Sey es Muthwille oder Vorſatz, ſo bleibt es immer ſehr ſchlecht. Bei den Fehlern anderer Menſchen iſt man oft zu tolerant, warum denn nun bei dieſer Klaſſe ſo ſehr intolerant? ſie ſind und bleiben auch Men- ſchen. Daß man von ihnen fordert das zu ſeyn, was ſie lehren, iſt billig und gerecht, aber eben ſo gerecht iſt auch manche Nachſicht. Wie viele vor- trefliche Maͤnner ſind darunter, die Muſter der Rechtſchaffenheit ſind, die mit Herz und Hand das ſind, was ſie andere zu ſeyn lehren! Dies leugnen wollen, waͤre Unſinn. Unter hundert Menſchen giebt es ja wol auch einen der nicht iſt was er ſeyn ſoll, man nehme ihn aus der Zahl heraus, verdamme aber nicht die neun und neunzig mit ihm, oder man dulde ihn um dieſer willen ſo lange er noch Nutzen ſtiften kann. Es iſt gar keinem Zweifel unterworfen daß die Rittermaͤhren den geiſtlichen Stand herab- ſetzen, die Beweiſe kann man von Jung und Alt hernehmen. Man hoͤrt ſo gar die Ausdruͤcke aus jenen Buͤchern auf die Prediger anwenden. Jch moͤchte den Stand ſehen, der ſich dies ſo

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/60>, abgerufen am 27.11.2024.