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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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sehr nahe angehen, von denen man die Gewiß-
heit nicht beweisen kann, wo man aber doch
mit der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit aus-
reicht. Bei dieser Materie aber fehlt sogar der
Beweis der physischen und moralischen Wahr-
scheinlichkeit, und historisch läßt sich doch wol
nichts darüber bestimmen? Und wenn es denn
auch wahrscheinlich gemacht werden könnte, daß
Geister auf uns wirken können, was wol we-
der erfahrungsmäßig, noch rein vernunftmäßig
geschehen kann: so entstehet wieder die Frage,
ob es den Menschen nicht mehr beunruhi-
gen als beruhigen möchte, wenn er bei seinen
Handlungen seine abgeschiedenen Lieben so nahe
wüßte, und würden denn diese wol ungestöhrt
in ihrer Seeligkeit seyn? Der Verfasser scheint
mir durch sein Buch eine, nicht unwichtige, Apo-
logie der Anrufung der Heiligen, und meh-
rerer
Sätze der katholischen Kirche geliefert zu
haben. Ob er vorher dies Dogma reif-
lich überlegt haben mag? Diese Schrift kann
hin und wieder den Glauben der alten Weiber
an die vierzehn Engel um das Bette wieder
auffrischen. Mag nicht manche Frau Her-
zensangst empfinden, die sechs Wochen nach
dem Tode ihres ersten Mannes den zweiten
nahm? --

Wenn

ſehr nahe angehen, von denen man die Gewiß-
heit nicht beweiſen kann, wo man aber doch
mit der Moͤglichkeit oder Wahrſcheinlichkeit aus-
reicht. Bei dieſer Materie aber fehlt ſogar der
Beweis der phyſiſchen und moraliſchen Wahr-
ſcheinlichkeit, und hiſtoriſch laͤßt ſich doch wol
nichts daruͤber beſtimmen? Und wenn es denn
auch wahrſcheinlich gemacht werden koͤnnte, daß
Geiſter auf uns wirken koͤnnen, was wol we-
der erfahrungsmaͤßig, noch rein vernunftmaͤßig
geſchehen kann: ſo entſtehet wieder die Frage,
ob es den Menſchen nicht mehr beunruhi-
gen als beruhigen moͤchte, wenn er bei ſeinen
Handlungen ſeine abgeſchiedenen Lieben ſo nahe
wuͤßte, und wuͤrden denn dieſe wol ungeſtoͤhrt
in ihrer Seeligkeit ſeyn? Der Verfaſſer ſcheint
mir durch ſein Buch eine, nicht unwichtige, Apo-
logie der Anrufung der Heiligen, und meh-
rerer
Saͤtze der katholiſchen Kirche geliefert zu
haben. Ob er vorher dies Dogma reif-
lich uͤberlegt haben mag? Dieſe Schrift kann
hin und wieder den Glauben der alten Weiber
an die vierzehn Engel um das Bette wieder
auffriſchen. Mag nicht manche Frau Her-
zensangſt empfinden, die ſechs Wochen nach
dem Tode ihres erſten Mannes den zweiten
nahm? —

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[32/0032] ſehr nahe angehen, von denen man die Gewiß- heit nicht beweiſen kann, wo man aber doch mit der Moͤglichkeit oder Wahrſcheinlichkeit aus- reicht. Bei dieſer Materie aber fehlt ſogar der Beweis der phyſiſchen und moraliſchen Wahr- ſcheinlichkeit, und hiſtoriſch laͤßt ſich doch wol nichts daruͤber beſtimmen? Und wenn es denn auch wahrſcheinlich gemacht werden koͤnnte, daß Geiſter auf uns wirken koͤnnen, was wol we- der erfahrungsmaͤßig, noch rein vernunftmaͤßig geſchehen kann: ſo entſtehet wieder die Frage, ob es den Menſchen nicht mehr beunruhi- gen als beruhigen moͤchte, wenn er bei ſeinen Handlungen ſeine abgeſchiedenen Lieben ſo nahe wuͤßte, und wuͤrden denn dieſe wol ungeſtoͤhrt in ihrer Seeligkeit ſeyn? Der Verfaſſer ſcheint mir durch ſein Buch eine, nicht unwichtige, Apo- logie der Anrufung der Heiligen, und meh- rerer Saͤtze der katholiſchen Kirche geliefert zu haben. Ob er vorher dies Dogma reif- lich uͤberlegt haben mag? Dieſe Schrift kann hin und wieder den Glauben der alten Weiber an die vierzehn Engel um das Bette wieder auffriſchen. Mag nicht manche Frau Her- zensangſt empfinden, die ſechs Wochen nach dem Tode ihres erſten Mannes den zweiten nahm? — Wenn

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/32>, abgerufen am 24.04.2024.