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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Hier sitz' ich nun so einsam als einst Bru-
der Claus in seiner Höhle. Eine Menge
von Jdeen durchkreuzen sich in meiner Seele;
das Aggregat derselben -- könnte es ein anderes
seyn, als Sie? Jch denke so gern den Lehr-
reichen herzerwärmenden Gesprächen nach, die
mich einst so glücklich, so unaussprechlich glücklich
machten, die mich meine Existenz so ganz em-
pfinden ließen. Ach! wie viele frohe Stunden
wurden mir zu frohen Augenblicken in dem lie-
den Zirkel von Menschen, der ganz von Jhrem
Geiste, meine Theuerste -- beseelt war! ich denke
dieser Stunden, dieser Augenblicke mit Weh-
muth. Aber auch diese Wehmuth ist mir in der
Erinnerung so angenehm, daß ich sie um keinen
Preiß dahin geben möchte.

Erinnerung und Hoffnung sind die beiden
Extreme, und Wunsch, der Mittelpunkt, auf
welchem wir uns drehen, ungewiß, welches Ex-
trem uns am glücklichsten machen könnte, wenn
uns die freie Wahl überlassen würde. Wir le-

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Hier ſitz’ ich nun ſo einſam als einſt Bru-
der Claus in ſeiner Hoͤhle. Eine Menge
von Jdeen durchkreuzen ſich in meiner Seele;
das Aggregat derſelben — koͤnnte es ein anderes
ſeyn, als Sie? Jch denke ſo gern den Lehr-
reichen herzerwaͤrmenden Geſpraͤchen nach, die
mich einſt ſo gluͤcklich, ſo unausſprechlich gluͤcklich
machten, die mich meine Exiſtenz ſo ganz em-
pfinden ließen. Ach! wie viele frohe Stunden
wurden mir zu frohen Augenblicken in dem lie-
den Zirkel von Menſchen, der ganz von Jhrem
Geiſte, meine Theuerſte — beſeelt war! ich denke
dieſer Stunden, dieſer Augenblicke mit Weh-
muth. Aber auch dieſe Wehmuth iſt mir in der
Erinnerung ſo angenehm, daß ich ſie um keinen
Preiß dahin geben moͤchte.

Erinnerung und Hoffnung ſind die beiden
Extreme, und Wunſch, der Mittelpunkt, auf
welchem wir uns drehen, ungewiß, welches Ex-
trem uns am gluͤcklichſten machen koͤnnte, wenn
uns die freie Wahl uͤberlaſſen wuͤrde. Wir le-

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[0003] Am 18ten des Octobers. Hier ſitz’ ich nun ſo einſam als einſt Bru- der Claus in ſeiner Hoͤhle. Eine Menge von Jdeen durchkreuzen ſich in meiner Seele; das Aggregat derſelben — koͤnnte es ein anderes ſeyn, als Sie? Jch denke ſo gern den Lehr- reichen herzerwaͤrmenden Geſpraͤchen nach, die mich einſt ſo gluͤcklich, ſo unausſprechlich gluͤcklich machten, die mich meine Exiſtenz ſo ganz em- pfinden ließen. Ach! wie viele frohe Stunden wurden mir zu frohen Augenblicken in dem lie- den Zirkel von Menſchen, der ganz von Jhrem Geiſte, meine Theuerſte — beſeelt war! ich denke dieſer Stunden, dieſer Augenblicke mit Weh- muth. Aber auch dieſe Wehmuth iſt mir in der Erinnerung ſo angenehm, daß ich ſie um keinen Preiß dahin geben moͤchte. Erinnerung und Hoffnung ſind die beiden Extreme, und Wunſch, der Mittelpunkt, auf welchem wir uns drehen, ungewiß, welches Ex- trem uns am gluͤcklichſten machen koͤnnte, wenn uns die freie Wahl uͤberlaſſen wuͤrde. Wir le- A 2

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/3>, abgerufen am 24.04.2024.