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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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warum nicht auch hier? ich besinne mich, daß
Sie bei einer andern Gelegenheit mir dies als
Einwurf entgegen sezten. Denken Sie sich die
Sache mit mir auf folgende Art.

Jedes Uebermaaß muß endlich einen Ekel
hervorbringen, bei dem einen früher, bei dem
andern später, und die Speise, die sonst gut
und gesund war, verliehrt den Credit. Man
vergißt die Quantität und schiebt die Schuld auf
die Qualität. Männer von Rechtschaffenheit
sahen die Modeschreiber, und die Modekrankheit
der Leser mit Bedauren an, versuchten eine
Kurart, die aber nicht anschlagen wollte, denn
der Cruditäten waren zu viele im Wege, und
häusten sich mit jeder Messe. Alles was ange-
wand wurde, konnte nur palliativ seyn. Ueber-
dem waren der herumziehenden Wunderthäter
und Geisterbeschwörer nicht wenige, die von
den Herrn Polizeiaufsehern geduldet wurden,
um ihre seeligen Ahnen aus der Gruft einmal
zurück zu rufen, das Wesen ihrer Kinder zu be-
antlitzen.

Andere vernünstige Männer lachten und
spotteten über die Menge solcher Wunderlegen-
den und Geisterregister; und weil dies kluge
Männer waren: so schloß sich ein Troß von
andern an, die auch gern für klug und aufge-

warum nicht auch hier? ich beſinne mich, daß
Sie bei einer andern Gelegenheit mir dies als
Einwurf entgegen ſezten. Denken Sie ſich die
Sache mit mir auf folgende Art.

Jedes Uebermaaß muß endlich einen Ekel
hervorbringen, bei dem einen fruͤher, bei dem
andern ſpaͤter, und die Speiſe, die ſonſt gut
und geſund war, verliehrt den Credit. Man
vergißt die Quantitaͤt und ſchiebt die Schuld auf
die Qualitaͤt. Maͤnner von Rechtſchaffenheit
ſahen die Modeſchreiber, und die Modekrankheit
der Leſer mit Bedauren an, verſuchten eine
Kurart, die aber nicht anſchlagen wollte, denn
der Cruditaͤten waren zu viele im Wege, und
haͤuſten ſich mit jeder Meſſe. Alles was ange-
wand wurde, konnte nur palliativ ſeyn. Ueber-
dem waren der herumziehenden Wunderthaͤter
und Geiſterbeſchwoͤrer nicht wenige, die von
den Herrn Polizeiaufſehern geduldet wurden,
um ihre ſeeligen Ahnen aus der Gruft einmal
zuruͤck zu rufen, das Weſen ihrer Kinder zu be-
antlitzen.

Andere vernuͤnſtige Maͤnner lachten und
ſpotteten uͤber die Menge ſolcher Wunderlegen-
den und Geiſterregiſter; und weil dies kluge
Maͤnner waren: ſo ſchloß ſich ein Troß von
andern an, die auch gern fuͤr klug und aufge-

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[26/0026] warum nicht auch hier? ich beſinne mich, daß Sie bei einer andern Gelegenheit mir dies als Einwurf entgegen ſezten. Denken Sie ſich die Sache mit mir auf folgende Art. Jedes Uebermaaß muß endlich einen Ekel hervorbringen, bei dem einen fruͤher, bei dem andern ſpaͤter, und die Speiſe, die ſonſt gut und geſund war, verliehrt den Credit. Man vergißt die Quantitaͤt und ſchiebt die Schuld auf die Qualitaͤt. Maͤnner von Rechtſchaffenheit ſahen die Modeſchreiber, und die Modekrankheit der Leſer mit Bedauren an, verſuchten eine Kurart, die aber nicht anſchlagen wollte, denn der Cruditaͤten waren zu viele im Wege, und haͤuſten ſich mit jeder Meſſe. Alles was ange- wand wurde, konnte nur palliativ ſeyn. Ueber- dem waren der herumziehenden Wunderthaͤter und Geiſterbeſchwoͤrer nicht wenige, die von den Herrn Polizeiaufſehern geduldet wurden, um ihre ſeeligen Ahnen aus der Gruft einmal zuruͤck zu rufen, das Weſen ihrer Kinder zu be- antlitzen. Andere vernuͤnſtige Maͤnner lachten und ſpotteten uͤber die Menge ſolcher Wunderlegen- den und Geiſterregiſter; und weil dies kluge Maͤnner waren: ſo ſchloß ſich ein Troß von andern an, die auch gern fuͤr klug und aufge-

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/26>, abgerufen am 28.11.2024.