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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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vorstellungen hervor, und wenn diese die Menge
der klaren übertreffen und herrschend werden,
so entstehet die Schwärmerei. Daß dies ein
großes Uebel, nicht blos für häusliches sondern
auch für öffentliches Wohl sey, begreift man
leicht, und wirklich giebt es jetzt sehr viele
Schwärmer und Schwärmerinnen aller Arten,
daneben auch ein Theil entzückte, die ganz das
Spiel ihrer innern Empfindungen und Einbildun-
gen sind und nichts von außen an sich kommen las-
sen wollen. Dürfte ich Sie wol an die Freiheits
und Gleichheits-Schwärmer erinnern, die nicht
nur in ihren Häusern, sondern auch öffentlich
Unglück verbreiten, und dürfte ich Sie wol da-
hin zurückführen, daß hier die Einbildungskraft
Jdeale mahlt, die nicht so existiren können,
die aber schon deswegen gefallen, weil sie Jdeale
sind? Zu ihrer Entwerfung ist durch die Lektü-
re vorbereitet. Es ist gut, daß gewisse Dinge
zur Sprache kommen, wenn sie nur an den ge-
hörigen Ort kämen. Ein jeder Mensch hat sein
subjektivisches Vorstellungsvermögen, und also
auch seine eigenen Begriffe, aber unter Hun-
derten mag wol kaum einer seyn, der das da-
von absonderte was die Phantasie daran hat,
der das Objekt durch das gehörige Glas be-
trachtete.

Die

vorſtellungen hervor, und wenn dieſe die Menge
der klaren uͤbertreffen und herrſchend werden,
ſo entſtehet die Schwaͤrmerei. Daß dies ein
großes Uebel, nicht blos fuͤr haͤusliches ſondern
auch fuͤr oͤffentliches Wohl ſey, begreift man
leicht, und wirklich giebt es jetzt ſehr viele
Schwaͤrmer und Schwaͤrmerinnen aller Arten,
daneben auch ein Theil entzuͤckte, die ganz das
Spiel ihrer innern Empfindungen und Einbildun-
gen ſind und nichts von außen an ſich kommen laſ-
ſen wollen. Duͤrfte ich Sie wol an die Freiheits
und Gleichheits-Schwaͤrmer erinnern, die nicht
nur in ihren Haͤuſern, ſondern auch oͤffentlich
Ungluͤck verbreiten, und duͤrfte ich Sie wol da-
hin zuruͤckfuͤhren, daß hier die Einbildungskraft
Jdeale mahlt, die nicht ſo exiſtiren koͤnnen,
die aber ſchon deswegen gefallen, weil ſie Jdeale
ſind? Zu ihrer Entwerfung iſt durch die Lektuͤ-
re vorbereitet. Es iſt gut, daß gewiſſe Dinge
zur Sprache kommen, wenn ſie nur an den ge-
hoͤrigen Ort kaͤmen. Ein jeder Menſch hat ſein
ſubjektiviſches Vorſtellungsvermoͤgen, und alſo
auch ſeine eigenen Begriffe, aber unter Hun-
derten mag wol kaum einer ſeyn, der das da-
von abſonderte was die Phantaſie daran hat,
der das Objekt durch das gehoͤrige Glas be-
trachtete.

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[112/0112] vorſtellungen hervor, und wenn dieſe die Menge der klaren uͤbertreffen und herrſchend werden, ſo entſtehet die Schwaͤrmerei. Daß dies ein großes Uebel, nicht blos fuͤr haͤusliches ſondern auch fuͤr oͤffentliches Wohl ſey, begreift man leicht, und wirklich giebt es jetzt ſehr viele Schwaͤrmer und Schwaͤrmerinnen aller Arten, daneben auch ein Theil entzuͤckte, die ganz das Spiel ihrer innern Empfindungen und Einbildun- gen ſind und nichts von außen an ſich kommen laſ- ſen wollen. Duͤrfte ich Sie wol an die Freiheits und Gleichheits-Schwaͤrmer erinnern, die nicht nur in ihren Haͤuſern, ſondern auch oͤffentlich Ungluͤck verbreiten, und duͤrfte ich Sie wol da- hin zuruͤckfuͤhren, daß hier die Einbildungskraft Jdeale mahlt, die nicht ſo exiſtiren koͤnnen, die aber ſchon deswegen gefallen, weil ſie Jdeale ſind? Zu ihrer Entwerfung iſt durch die Lektuͤ- re vorbereitet. Es iſt gut, daß gewiſſe Dinge zur Sprache kommen, wenn ſie nur an den ge- hoͤrigen Ort kaͤmen. Ein jeder Menſch hat ſein ſubjektiviſches Vorſtellungsvermoͤgen, und alſo auch ſeine eigenen Begriffe, aber unter Hun- derten mag wol kaum einer ſeyn, der das da- von abſonderte was die Phantaſie daran hat, der das Objekt durch das gehoͤrige Glas be- trachtete. Die

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/112>, abgerufen am 24.11.2024.