Man geht von hier auf die eine Seite des Sees hinab, und, mittelst einer höl- zernen Brücke von einem weit gespannten Bogen im Geschmack des Palladio, über einen Arm desselben, in den erwähnten hängenden Wald, worinn hingesetzte Steine den Weg nach einer Grotte zeigen. Ihr mit Epheu bewachsenes Dach und der mit Kieseln gepflasterte Fußboden deuten an, daß es die Wohnung der Natur ist. Das Licht fällt von oben durch eine runde Oeffnung im Dach hinein; durch die hinabhän- genden zarten Zweige sieht man einen Theil des Sees. In einem Winkel der Grotte erscheint ein marmornes Gefäß zum kalten Bade; das Wasser dazu kömmt aus einer klaren Quelle, die bey einer schlafenden Nymphe, die hinten in der Grotte liegt, lang- sam herabläuft.
Nicht weit davon ist eine kleinere Grotte, die charakteristisch verziert und der Aufenthalt eines Flußgottes ist, der sich auf eine Urne lehnt. Das herauslaufende klare Wasser ist wirklich die Quelle des Flusses Stour, der sich daraus ergießt und sodann in den See fällt. Von diesem angenehmen Ort steigt man einige Stufen von unbearbeiteten Steinen hinauf, und geht, durch das Gehölze über der Grotte, wieder zum grünen Ufer des Sees hinab, zum Pantheon.
Von dem Gange vor diesem Gebäude sieht man über den See nach der Anhöhe zurück, auf deren Abhange das gedachte Zelt steht. Dies Pantheon ist nach dem römischen eingerichtet, und nach dem Tempel der Eintracht zu Stowe wohl das edelste Gartengebäude in England. Die Rotunde hat 36 Fuß im Durchmesser, und wird durch eine Oeffnung von oben her erleuchtet. In den Nischen stehen Sta- tuen und über ihnen Basreliefs, die auf sie Beziehung haben.
Von diesem Tempel wendet man sich rechts, und wird durch eine prächtige Kascade überrascht, die in ein rauhes Thal außerhalb des Gartens hinabstürzt. Der Weg führt durch ein kleines Gebüsch über eine wild angelegte Treppe. Jetzt befindet man sich auf einmal in einem andern Theil dieser Anlage; man steigt einen Hügel hinan, dem die steile Höhe durch einen in die Länge gezogenen Fußsteig benommen ist, und erreicht einen dick gepflanzten Hayn mit einer aus Baumwurzeln verfertigten Ein- fiedeley, worinn ein Todtenkopf und ein Stundenglas die ernsthafte Gesellschaft des Einsiedlers sind.
Wenn man von hier auf der Seite des Hügels fortwandert, zieht der Tempel der Sonne die Aufmerksamkeit auf sich. Aus diesem schönen Gebäude übersieht man nicht nur die bisher angeführten Gegenstände, sondern auch die umliegende Gegend und den Alfredsthurm. Man geht von hier einen Abhang von seinem Rasen hinab, und durch eine unterirrdische Grotte unter dem Weg hindurch, über den man zuvor vermittelst des rauhen Bogens weggegangen war. Auf einmal befindet man sich
wieder
Sechster Abſchnitt. Gaͤrten
Man geht von hier auf die eine Seite des Sees hinab, und, mittelſt einer hoͤl- zernen Bruͤcke von einem weit geſpannten Bogen im Geſchmack des Palladio, uͤber einen Arm deſſelben, in den erwaͤhnten haͤngenden Wald, worinn hingeſetzte Steine den Weg nach einer Grotte zeigen. Ihr mit Epheu bewachſenes Dach und der mit Kieſeln gepflaſterte Fußboden deuten an, daß es die Wohnung der Natur iſt. Das Licht faͤllt von oben durch eine runde Oeffnung im Dach hinein; durch die hinabhaͤn- genden zarten Zweige ſieht man einen Theil des Sees. In einem Winkel der Grotte erſcheint ein marmornes Gefaͤß zum kalten Bade; das Waſſer dazu koͤmmt aus einer klaren Quelle, die bey einer ſchlafenden Nymphe, die hinten in der Grotte liegt, lang- ſam herablaͤuft.
Nicht weit davon iſt eine kleinere Grotte, die charakteriſtiſch verziert und der Aufenthalt eines Flußgottes iſt, der ſich auf eine Urne lehnt. Das herauslaufende klare Waſſer iſt wirklich die Quelle des Fluſſes Stour, der ſich daraus ergießt und ſodann in den See faͤllt. Von dieſem angenehmen Ort ſteigt man einige Stufen von unbearbeiteten Steinen hinauf, und geht, durch das Gehoͤlze uͤber der Grotte, wieder zum gruͤnen Ufer des Sees hinab, zum Pantheon.
Von dem Gange vor dieſem Gebaͤude ſieht man uͤber den See nach der Anhoͤhe zuruͤck, auf deren Abhange das gedachte Zelt ſteht. Dies Pantheon iſt nach dem roͤmiſchen eingerichtet, und nach dem Tempel der Eintracht zu Stowe wohl das edelſte Gartengebaͤude in England. Die Rotunde hat 36 Fuß im Durchmeſſer, und wird durch eine Oeffnung von oben her erleuchtet. In den Niſchen ſtehen Sta- tuen und uͤber ihnen Basreliefs, die auf ſie Beziehung haben.
Von dieſem Tempel wendet man ſich rechts, und wird durch eine praͤchtige Kaſcade uͤberraſcht, die in ein rauhes Thal außerhalb des Gartens hinabſtuͤrzt. Der Weg fuͤhrt durch ein kleines Gebuͤſch uͤber eine wild angelegte Treppe. Jetzt befindet man ſich auf einmal in einem andern Theil dieſer Anlage; man ſteigt einen Huͤgel hinan, dem die ſteile Hoͤhe durch einen in die Laͤnge gezogenen Fußſteig benommen iſt, und erreicht einen dick gepflanzten Hayn mit einer aus Baumwurzeln verfertigten Ein- fiedeley, worinn ein Todtenkopf und ein Stundenglas die ernſthafte Geſellſchaft des Einſiedlers ſind.
Wenn man von hier auf der Seite des Huͤgels fortwandert, zieht der Tempel der Sonne die Aufmerkſamkeit auf ſich. Aus dieſem ſchoͤnen Gebaͤude uͤberſieht man nicht nur die bisher angefuͤhrten Gegenſtaͤnde, ſondern auch die umliegende Gegend und den Alfredsthurm. Man geht von hier einen Abhang von ſeinem Raſen hinab, und durch eine unterirrdiſche Grotte unter dem Weg hindurch, uͤber den man zuvor vermittelſt des rauhen Bogens weggegangen war. Auf einmal befindet man ſich
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[42/0050]
Sechster Abſchnitt. Gaͤrten
Man geht von hier auf die eine Seite des Sees hinab, und, mittelſt einer hoͤl-
zernen Bruͤcke von einem weit geſpannten Bogen im Geſchmack des Palladio, uͤber
einen Arm deſſelben, in den erwaͤhnten haͤngenden Wald, worinn hingeſetzte Steine
den Weg nach einer Grotte zeigen. Ihr mit Epheu bewachſenes Dach und der mit
Kieſeln gepflaſterte Fußboden deuten an, daß es die Wohnung der Natur iſt. Das
Licht faͤllt von oben durch eine runde Oeffnung im Dach hinein; durch die hinabhaͤn-
genden zarten Zweige ſieht man einen Theil des Sees. In einem Winkel der Grotte
erſcheint ein marmornes Gefaͤß zum kalten Bade; das Waſſer dazu koͤmmt aus einer
klaren Quelle, die bey einer ſchlafenden Nymphe, die hinten in der Grotte liegt, lang-
ſam herablaͤuft.
Nicht weit davon iſt eine kleinere Grotte, die charakteriſtiſch verziert und der
Aufenthalt eines Flußgottes iſt, der ſich auf eine Urne lehnt. Das herauslaufende
klare Waſſer iſt wirklich die Quelle des Fluſſes Stour, der ſich daraus ergießt und
ſodann in den See faͤllt. Von dieſem angenehmen Ort ſteigt man einige Stufen von
unbearbeiteten Steinen hinauf, und geht, durch das Gehoͤlze uͤber der Grotte, wieder
zum gruͤnen Ufer des Sees hinab, zum Pantheon.
Von dem Gange vor dieſem Gebaͤude ſieht man uͤber den See nach der Anhoͤhe
zuruͤck, auf deren Abhange das gedachte Zelt ſteht. Dies Pantheon iſt nach dem
roͤmiſchen eingerichtet, und nach dem Tempel der Eintracht zu Stowe wohl das
edelſte Gartengebaͤude in England. Die Rotunde hat 36 Fuß im Durchmeſſer,
und wird durch eine Oeffnung von oben her erleuchtet. In den Niſchen ſtehen Sta-
tuen und uͤber ihnen Basreliefs, die auf ſie Beziehung haben.
Von dieſem Tempel wendet man ſich rechts, und wird durch eine praͤchtige
Kaſcade uͤberraſcht, die in ein rauhes Thal außerhalb des Gartens hinabſtuͤrzt. Der
Weg fuͤhrt durch ein kleines Gebuͤſch uͤber eine wild angelegte Treppe. Jetzt befindet
man ſich auf einmal in einem andern Theil dieſer Anlage; man ſteigt einen Huͤgel
hinan, dem die ſteile Hoͤhe durch einen in die Laͤnge gezogenen Fußſteig benommen iſt,
und erreicht einen dick gepflanzten Hayn mit einer aus Baumwurzeln verfertigten Ein-
fiedeley, worinn ein Todtenkopf und ein Stundenglas die ernſthafte Geſellſchaft des
Einſiedlers ſind.
Wenn man von hier auf der Seite des Huͤgels fortwandert, zieht der Tempel
der Sonne die Aufmerkſamkeit auf ſich. Aus dieſem ſchoͤnen Gebaͤude uͤberſieht man
nicht nur die bisher angefuͤhrten Gegenſtaͤnde, ſondern auch die umliegende Gegend
und den Alfredsthurm. Man geht von hier einen Abhang von ſeinem Raſen hinab,
und durch eine unterirrdiſche Grotte unter dem Weg hindurch, uͤber den man zuvor
vermittelſt des rauhen Bogens weggegangen war. Auf einmal befindet man ſich
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/50>, abgerufen am 19.07.2024.
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