Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gärten, Klöster, so vieler Kreuze und Bilder der Heiligen, welche die Andacht an diesenOertern aufgestellt hat, das beständige Geläute, das so mannichfaltig durch einander tönt, die todte geschäftlose Stille der Stadt, die nur durch die Gegenwart des Hofes belebt wird -- alles dieses flößt der Seele des Umherwandernden eine gewisse Schwer- muth ein, und scheint, anstatt einer muntern Pflanzung, hier eine weitere Ausbil- dung des melancholischen Charakters der Gegend schicklich zu machen. Eine Pflan- zung mit dunkeln Nadeln oder Laub könnte demnach diesem Charakter in den vertief- ten Gängen folgen, und die verstärkten Scenen der Melancholie drängten sich hinter einander, bis sie da, wo die Aussichten des Mayn und seiner Landschaften hervor- brechen, auf einmal mit einer lebhaften Ueberraschung in Scenen der Heiterkeit über- giengen. Hier wandelt die Natur selbst den Charakter. Der Ausgang in Freude ist hier eben so wahr, als dort Melancholie herrscht; das beschriebene Gebäude lockt die Seele von der Einsamkeit zur Welt, von der stillen Betrachtung zum Genuß zu- rück; die Bilder von Freyheit, von Geschäften, von Leben, von Vergnügungen der Schöpfung glänzen in der klaren Flut des Mayn, und lachen aus allen umlie- genden Landschaften hervor. Eigentlich machen die Verschönerungen von Aschaffenburg nur einen Theil grünen
Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten, Kloͤſter, ſo vieler Kreuze und Bilder der Heiligen, welche die Andacht an dieſenOertern aufgeſtellt hat, das beſtaͤndige Gelaͤute, das ſo mannichfaltig durch einander toͤnt, die todte geſchaͤftloſe Stille der Stadt, die nur durch die Gegenwart des Hofes belebt wird — alles dieſes floͤßt der Seele des Umherwandernden eine gewiſſe Schwer- muth ein, und ſcheint, anſtatt einer muntern Pflanzung, hier eine weitere Ausbil- dung des melancholiſchen Charakters der Gegend ſchicklich zu machen. Eine Pflan- zung mit dunkeln Nadeln oder Laub koͤnnte demnach dieſem Charakter in den vertief- ten Gaͤngen folgen, und die verſtaͤrkten Scenen der Melancholie draͤngten ſich hinter einander, bis ſie da, wo die Ausſichten des Mayn und ſeiner Landſchaften hervor- brechen, auf einmal mit einer lebhaften Ueberraſchung in Scenen der Heiterkeit uͤber- giengen. Hier wandelt die Natur ſelbſt den Charakter. Der Ausgang in Freude iſt hier eben ſo wahr, als dort Melancholie herrſcht; das beſchriebene Gebaͤude lockt die Seele von der Einſamkeit zur Welt, von der ſtillen Betrachtung zum Genuß zu- ruͤck; die Bilder von Freyheit, von Geſchaͤften, von Leben, von Vergnuͤgungen der Schoͤpfung glaͤnzen in der klaren Flut des Mayn, und lachen aus allen umlie- genden Landſchaften hervor. Eigentlich machen die Verſchoͤnerungen von Aſchaffenburg nur einen Theil gruͤnen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0338" n="330"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten,</hi></fw><lb/> Kloͤſter, ſo vieler Kreuze und Bilder der Heiligen, welche die Andacht an dieſen<lb/> Oertern aufgeſtellt hat, das beſtaͤndige Gelaͤute, das ſo mannichfaltig durch einander<lb/> toͤnt, die todte geſchaͤftloſe Stille der Stadt, die nur durch die Gegenwart des Hofes<lb/> belebt wird — alles dieſes floͤßt der Seele des Umherwandernden eine gewiſſe Schwer-<lb/> muth ein, und ſcheint, anſtatt einer muntern Pflanzung, hier eine weitere Ausbil-<lb/> dung des melancholiſchen Charakters der Gegend ſchicklich zu machen. Eine Pflan-<lb/> zung mit dunkeln Nadeln oder Laub koͤnnte demnach dieſem Charakter in den vertief-<lb/> ten Gaͤngen folgen, und die verſtaͤrkten Scenen der Melancholie draͤngten ſich hinter<lb/> einander, bis ſie da, wo die Ausſichten des <hi rendition="#fr">Mayn</hi> und ſeiner Landſchaften hervor-<lb/> brechen, auf einmal mit einer lebhaften Ueberraſchung in Scenen der Heiterkeit uͤber-<lb/> giengen. Hier wandelt die Natur ſelbſt den Charakter. Der Ausgang in Freude<lb/> iſt hier eben ſo wahr, als dort Melancholie herrſcht; das beſchriebene Gebaͤude lockt<lb/> die Seele von der Einſamkeit zur Welt, von der ſtillen Betrachtung zum Genuß zu-<lb/> ruͤck; die Bilder von Freyheit, von Geſchaͤften, von Leben, von Vergnuͤgungen<lb/> der Schoͤpfung glaͤnzen in der klaren Flut des <hi rendition="#fr">Mayn,</hi> und lachen aus allen umlie-<lb/> genden Landſchaften hervor.</p><lb/> <p>Eigentlich machen die Verſchoͤnerungen von <hi rendition="#fr">Aſchaffenburg</hi> nur einen Theil<lb/> von den großen Anlagen des Churfuͤrſten; es liegt faſt in der Mitte der Laͤndereyen,<lb/> die zu den neuen Anpflanzungen, Gebaͤuden und allen Zweigen nuͤtzlicher Veranſtal-<lb/> tungen des Gartenweſens und der Landwirthſchaft beſtimmt ſind. Das Ganze be-<lb/> ſchreibt einen Umkreis von ſechs Stunden. Es iſt eine große weite Landſchaft, die<lb/> vom <hi rendition="#fr">Mayn</hi> durchſtroͤmt wird, und meiſtentheils aus einer Ebene beſteht, aber doch<lb/> zum Theil waldigte Berge enthaͤlt, worauf Waͤlder, Weinberge, Weiden und Saat-<lb/> felder in einem angenehmen Gemiſch erſcheinen. Der Boden iſt in der Ebene um<lb/><hi rendition="#fr">Schoͤnbuſch</hi> freylich etwas unfruchtbar, aber gegen den <hi rendition="#fr">Mayn</hi> zu ſchon weniger,<lb/> und wird durch vielen Fleiß verbeſſert. In dem Umfang der Plaͤne liegen ganze<lb/> Waͤlder, beſonders von Nadelhoͤlzern. Die Stadt, die Kirchen, die Kloͤſter und<lb/> beſonders das ehrwuͤrdige Reſidenzſchloß von <hi rendition="#fr">Aſchaffenburg</hi> machen einen großen<lb/> Proſpect mitten in dieſen Anlagen. Hinter <hi rendition="#fr">Aſchaffenburg</hi> befindet ſich die Faſa-<lb/> nerie fuͤr zahmes Gefluͤgel und der Park oder Thiergarten, der viele Berge, hohe<lb/> Waͤlder und tiefe Thaͤler in ſich begreift, und auf 400 Stuͤck Rehe und Hirſche er-<lb/> naͤhrt. Die Gegenden des Parks ſind, wegen der vielen Berge und der Menge<lb/> weiter und reizender Ausſichten, uͤberaus belebend. Das Auge irrt zwiſchen nahen<lb/> und fernen Bergen, Waͤldern, gruͤnenden Tieſen und freyen Plaͤtzen umher, wo<lb/> Heerden von Wild graſen. Man ſchaut uͤber die Stadt <hi rendition="#fr">Aſchaffenburg,</hi> die hier<lb/> in der Niedrigung liegt, hin auf den glaͤnzenden Maynſtrom, der ſich durch die<lb/> <fw place="bottom" type="catch">gruͤnen</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [330/0338]
Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten,
Kloͤſter, ſo vieler Kreuze und Bilder der Heiligen, welche die Andacht an dieſen
Oertern aufgeſtellt hat, das beſtaͤndige Gelaͤute, das ſo mannichfaltig durch einander
toͤnt, die todte geſchaͤftloſe Stille der Stadt, die nur durch die Gegenwart des Hofes
belebt wird — alles dieſes floͤßt der Seele des Umherwandernden eine gewiſſe Schwer-
muth ein, und ſcheint, anſtatt einer muntern Pflanzung, hier eine weitere Ausbil-
dung des melancholiſchen Charakters der Gegend ſchicklich zu machen. Eine Pflan-
zung mit dunkeln Nadeln oder Laub koͤnnte demnach dieſem Charakter in den vertief-
ten Gaͤngen folgen, und die verſtaͤrkten Scenen der Melancholie draͤngten ſich hinter
einander, bis ſie da, wo die Ausſichten des Mayn und ſeiner Landſchaften hervor-
brechen, auf einmal mit einer lebhaften Ueberraſchung in Scenen der Heiterkeit uͤber-
giengen. Hier wandelt die Natur ſelbſt den Charakter. Der Ausgang in Freude
iſt hier eben ſo wahr, als dort Melancholie herrſcht; das beſchriebene Gebaͤude lockt
die Seele von der Einſamkeit zur Welt, von der ſtillen Betrachtung zum Genuß zu-
ruͤck; die Bilder von Freyheit, von Geſchaͤften, von Leben, von Vergnuͤgungen
der Schoͤpfung glaͤnzen in der klaren Flut des Mayn, und lachen aus allen umlie-
genden Landſchaften hervor.
Eigentlich machen die Verſchoͤnerungen von Aſchaffenburg nur einen Theil
von den großen Anlagen des Churfuͤrſten; es liegt faſt in der Mitte der Laͤndereyen,
die zu den neuen Anpflanzungen, Gebaͤuden und allen Zweigen nuͤtzlicher Veranſtal-
tungen des Gartenweſens und der Landwirthſchaft beſtimmt ſind. Das Ganze be-
ſchreibt einen Umkreis von ſechs Stunden. Es iſt eine große weite Landſchaft, die
vom Mayn durchſtroͤmt wird, und meiſtentheils aus einer Ebene beſteht, aber doch
zum Theil waldigte Berge enthaͤlt, worauf Waͤlder, Weinberge, Weiden und Saat-
felder in einem angenehmen Gemiſch erſcheinen. Der Boden iſt in der Ebene um
Schoͤnbuſch freylich etwas unfruchtbar, aber gegen den Mayn zu ſchon weniger,
und wird durch vielen Fleiß verbeſſert. In dem Umfang der Plaͤne liegen ganze
Waͤlder, beſonders von Nadelhoͤlzern. Die Stadt, die Kirchen, die Kloͤſter und
beſonders das ehrwuͤrdige Reſidenzſchloß von Aſchaffenburg machen einen großen
Proſpect mitten in dieſen Anlagen. Hinter Aſchaffenburg befindet ſich die Faſa-
nerie fuͤr zahmes Gefluͤgel und der Park oder Thiergarten, der viele Berge, hohe
Waͤlder und tiefe Thaͤler in ſich begreift, und auf 400 Stuͤck Rehe und Hirſche er-
naͤhrt. Die Gegenden des Parks ſind, wegen der vielen Berge und der Menge
weiter und reizender Ausſichten, uͤberaus belebend. Das Auge irrt zwiſchen nahen
und fernen Bergen, Waͤldern, gruͤnenden Tieſen und freyen Plaͤtzen umher, wo
Heerden von Wild graſen. Man ſchaut uͤber die Stadt Aſchaffenburg, die hier
in der Niedrigung liegt, hin auf den glaͤnzenden Maynſtrom, der ſich durch die
gruͤnen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |