"Wir richten unsern Plan im Leben gemeiniglich nur auf glückliche Umstände ein, und bereiten uns selten, sehr selten auf die Widerwärtigkeit. Wir bringen diesen Hang sogar in die Anlage unsrer Gärten; wir bauen nur die fröhlichen Zierrathen des Sommers an, und finden an keinen Pflanzen Geschmack, als die durch milden Thau und angenehmen Sonnenschein aufblühen. Wir verbannen den schrecklichen Winter aus unsern Gedanken, wo wir den Mangel des wohlthätigen Einflusses der Sonne doppelt empfinden, weil wir dem durchdringenden Nordwinde und der schneidenden Kälte ausgesetzt sind. Weise ist der Gärtner, sowohl im methaphorischen als buch- stäblichen Verstande, der sich ein freundschaftliches Dach gegen die Decemberstürme besorgt, und die Pflanzen anbaut, welche diese traurige Jahreszeit beleben und zieren. Der ist kein Philosoph, der nicht in die Gänge der Stoiker sich zurückziehen kann, wenn der Garten des Epicurs verblüht ist. Der ist zu sehr Philosoph, der die Blu- men und Gerüche des Sommers verbannen will, um beständig unter Cypressenschatten zu sitzen."
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Anhang.
Vierter Abſchn. Gaͤrten nach dem Unterſchied ꝛc.
„Wir richten unſern Plan im Leben gemeiniglich nur auf gluͤckliche Umſtaͤnde ein, und bereiten uns ſelten, ſehr ſelten auf die Widerwaͤrtigkeit. Wir bringen dieſen Hang ſogar in die Anlage unſrer Gaͤrten; wir bauen nur die froͤhlichen Zierrathen des Sommers an, und finden an keinen Pflanzen Geſchmack, als die durch milden Thau und angenehmen Sonnenſchein aufbluͤhen. Wir verbannen den ſchrecklichen Winter aus unſern Gedanken, wo wir den Mangel des wohlthaͤtigen Einfluſſes der Sonne doppelt empfinden, weil wir dem durchdringenden Nordwinde und der ſchneidenden Kaͤlte ausgeſetzt ſind. Weiſe iſt der Gaͤrtner, ſowohl im methaphoriſchen als buch- ſtaͤblichen Verſtande, der ſich ein freundſchaftliches Dach gegen die Decemberſtuͤrme beſorgt, und die Pflanzen anbaut, welche dieſe traurige Jahreszeit beleben und zieren. Der iſt kein Philoſoph, der nicht in die Gaͤnge der Stoiker ſich zuruͤckziehen kann, wenn der Garten des Epicurs verbluͤht iſt. Der iſt zu ſehr Philoſoph, der die Blu- men und Geruͤche des Sommers verbannen will, um beſtaͤndig unter Cypreſſenſchatten zu ſitzen.“
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Anhang.
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Vierter Abſchn. Gaͤrten nach dem Unterſchied ꝛc.
„Wir richten unſern Plan im Leben gemeiniglich nur auf gluͤckliche Umſtaͤnde
ein, und bereiten uns ſelten, ſehr ſelten auf die Widerwaͤrtigkeit. Wir bringen dieſen
Hang ſogar in die Anlage unſrer Gaͤrten; wir bauen nur die froͤhlichen Zierrathen des
Sommers an, und finden an keinen Pflanzen Geſchmack, als die durch milden Thau
und angenehmen Sonnenſchein aufbluͤhen. Wir verbannen den ſchrecklichen Winter
aus unſern Gedanken, wo wir den Mangel des wohlthaͤtigen Einfluſſes der Sonne
doppelt empfinden, weil wir dem durchdringenden Nordwinde und der ſchneidenden
Kaͤlte ausgeſetzt ſind. Weiſe iſt der Gaͤrtner, ſowohl im methaphoriſchen als buch-
ſtaͤblichen Verſtande, der ſich ein freundſchaftliches Dach gegen die Decemberſtuͤrme
beſorgt, und die Pflanzen anbaut, welche dieſe traurige Jahreszeit beleben und zieren.
Der iſt kein Philoſoph, der nicht in die Gaͤnge der Stoiker ſich zuruͤckziehen kann,
wenn der Garten des Epicurs verbluͤht iſt. Der iſt zu ſehr Philoſoph, der die Blu-
men und Geruͤche des Sommers verbannen will, um beſtaͤndig unter Cypreſſenſchatten
zu ſitzen.“
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/176>, abgerufen am 27.07.2024.
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