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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Fünfter Abschnitt. Von Statüen,
viel Licht erhält, sondern zwischen Bäumen, wo eine angenehmere Erleuchtung von
oben einfällt.

So reizend auch Scenen von dieser Classe für Personen sind, die Kenntniß der
Dichterfabel mit feiner Empfindung begleiten, so muß man doch gestehen, daß ihre
Wirkung für Zuschauer vom gewöhnlichen Schlag verloren geht. Die Einbildungs-
kraft der meisten Menschen ist so schwer, daß sie fast keiner Beweglichkeit fähig scheint;
ihre Begriffe von der Fabel des Alterthums find so unzulänglich und so schwankend,
ihre Bekanntschaft mit den Vorstellungen der Dichter ist so gering, daß auch die glück-
lichsten Nachahmungen der Gartenkunst, ohne den innern Sinn zu berühren, vor ihnen
vorüberschwinden, und nur ein bloßes Schauspiel für das Auge bleiben. Und doch
erfordern gerade am meisten Scenen dieser Art, um genossen zu werden, eine gewisse
Empfänglichkeit des Gefühls, eine gewisse Schnelligkeit der Phantasie, die zuvor-
kommt, die das zu ersetzen weiß, was der Nachahmung an Vollständigkeit abgieng.
Denn der Charakter der Oerter und ihrer Verzierungen kann nie so vollkommen dar-
gestellt, nie so täuschend werden, als die Beschreibung der Dichter ist. Die Plätze,
die Bäume und übrigen Gegenstände sind fast keine andern, als die wir sonst zu sehen
gewohnt sind; vieles beruht auf Sitten und Gebräuchen, die nicht mehr auf unsere
Zeiten passen; vieles muß von dem Genie des Himmelsstrichs und von Zufälligkeiten
der Natur erhalten werden, die nie in unserer Gewalt sind. Bey einer solchen Unzu-
länglichkeit der Mittel ist die Ausführung des Unternehmens immer schwer, und der
Gartenkünstler hat schon alles gethan, was seine Kunst vermag, wenn er die Nachah-
mung bis zu einem gewissen Grad der Täuschung für empfindende Kenner gebracht hat,
indessen der große Haufe nur angaffend vor seinem Werke vorübergeht.

7.

Um diesen Unbequemlichkeiten der Vorstellungen aus der Mythologie und Dich-
terfabel des Alterthums auszuweichen, kann der Gartenkünstler sich an Scenen aus
seiner Zeit oder aus seiner Nation wenden, die nicht allein eine allgemeine Verständ-
lichkeit, sondern auch noch überdieß ein stärkeres Interesse haben. Er ist hier an keine
Vorbildung gefesselt; er erfindet selbst und ist Herr über seine Erfindungen; die An-
ordnung ist ganz in seiner Gewalt; die Scene liegt gleichsam schon auf seinem Boden
da. Er darf nicht zu entlegenen Hülfsmitteln seine Zuflucht nehmen; er hat alles
in der Nähe, er kann den geraden Weg wählen, und seiner glücklichen Annäherung
zu der Empfindung oder dem Geiste des Zuschauers versichert seyn.

Ein

Fuͤnfter Abſchnitt. Von Statuͤen,
viel Licht erhaͤlt, ſondern zwiſchen Baͤumen, wo eine angenehmere Erleuchtung von
oben einfaͤllt.

So reizend auch Scenen von dieſer Claſſe fuͤr Perſonen ſind, die Kenntniß der
Dichterfabel mit feiner Empfindung begleiten, ſo muß man doch geſtehen, daß ihre
Wirkung fuͤr Zuſchauer vom gewoͤhnlichen Schlag verloren geht. Die Einbildungs-
kraft der meiſten Menſchen iſt ſo ſchwer, daß ſie faſt keiner Beweglichkeit faͤhig ſcheint;
ihre Begriffe von der Fabel des Alterthums find ſo unzulaͤnglich und ſo ſchwankend,
ihre Bekanntſchaft mit den Vorſtellungen der Dichter iſt ſo gering, daß auch die gluͤck-
lichſten Nachahmungen der Gartenkunſt, ohne den innern Sinn zu beruͤhren, vor ihnen
voruͤberſchwinden, und nur ein bloßes Schauſpiel fuͤr das Auge bleiben. Und doch
erfordern gerade am meiſten Scenen dieſer Art, um genoſſen zu werden, eine gewiſſe
Empfaͤnglichkeit des Gefuͤhls, eine gewiſſe Schnelligkeit der Phantaſie, die zuvor-
kommt, die das zu erſetzen weiß, was der Nachahmung an Vollſtaͤndigkeit abgieng.
Denn der Charakter der Oerter und ihrer Verzierungen kann nie ſo vollkommen dar-
geſtellt, nie ſo taͤuſchend werden, als die Beſchreibung der Dichter iſt. Die Plaͤtze,
die Baͤume und uͤbrigen Gegenſtaͤnde ſind faſt keine andern, als die wir ſonſt zu ſehen
gewohnt ſind; vieles beruht auf Sitten und Gebraͤuchen, die nicht mehr auf unſere
Zeiten paſſen; vieles muß von dem Genie des Himmelsſtrichs und von Zufaͤlligkeiten
der Natur erhalten werden, die nie in unſerer Gewalt ſind. Bey einer ſolchen Unzu-
laͤnglichkeit der Mittel iſt die Ausfuͤhrung des Unternehmens immer ſchwer, und der
Gartenkuͤnſtler hat ſchon alles gethan, was ſeine Kunſt vermag, wenn er die Nachah-
mung bis zu einem gewiſſen Grad der Taͤuſchung fuͤr empfindende Kenner gebracht hat,
indeſſen der große Haufe nur angaffend vor ſeinem Werke voruͤbergeht.

7.

Um dieſen Unbequemlichkeiten der Vorſtellungen aus der Mythologie und Dich-
terfabel des Alterthums auszuweichen, kann der Gartenkuͤnſtler ſich an Scenen aus
ſeiner Zeit oder aus ſeiner Nation wenden, die nicht allein eine allgemeine Verſtaͤnd-
lichkeit, ſondern auch noch uͤberdieß ein ſtaͤrkeres Intereſſe haben. Er iſt hier an keine
Vorbildung gefeſſelt; er erfindet ſelbſt und iſt Herr uͤber ſeine Erfindungen; die An-
ordnung iſt ganz in ſeiner Gewalt; die Scene liegt gleichſam ſchon auf ſeinem Boden
da. Er darf nicht zu entlegenen Huͤlfsmitteln ſeine Zuflucht nehmen; er hat alles
in der Naͤhe, er kann den geraden Weg waͤhlen, und ſeiner gluͤcklichen Annaͤherung
zu der Empfindung oder dem Geiſte des Zuſchauers verſichert ſeyn.

Ein
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[138/0142] Fuͤnfter Abſchnitt. Von Statuͤen, viel Licht erhaͤlt, ſondern zwiſchen Baͤumen, wo eine angenehmere Erleuchtung von oben einfaͤllt. So reizend auch Scenen von dieſer Claſſe fuͤr Perſonen ſind, die Kenntniß der Dichterfabel mit feiner Empfindung begleiten, ſo muß man doch geſtehen, daß ihre Wirkung fuͤr Zuſchauer vom gewoͤhnlichen Schlag verloren geht. Die Einbildungs- kraft der meiſten Menſchen iſt ſo ſchwer, daß ſie faſt keiner Beweglichkeit faͤhig ſcheint; ihre Begriffe von der Fabel des Alterthums find ſo unzulaͤnglich und ſo ſchwankend, ihre Bekanntſchaft mit den Vorſtellungen der Dichter iſt ſo gering, daß auch die gluͤck- lichſten Nachahmungen der Gartenkunſt, ohne den innern Sinn zu beruͤhren, vor ihnen voruͤberſchwinden, und nur ein bloßes Schauſpiel fuͤr das Auge bleiben. Und doch erfordern gerade am meiſten Scenen dieſer Art, um genoſſen zu werden, eine gewiſſe Empfaͤnglichkeit des Gefuͤhls, eine gewiſſe Schnelligkeit der Phantaſie, die zuvor- kommt, die das zu erſetzen weiß, was der Nachahmung an Vollſtaͤndigkeit abgieng. Denn der Charakter der Oerter und ihrer Verzierungen kann nie ſo vollkommen dar- geſtellt, nie ſo taͤuſchend werden, als die Beſchreibung der Dichter iſt. Die Plaͤtze, die Baͤume und uͤbrigen Gegenſtaͤnde ſind faſt keine andern, als die wir ſonſt zu ſehen gewohnt ſind; vieles beruht auf Sitten und Gebraͤuchen, die nicht mehr auf unſere Zeiten paſſen; vieles muß von dem Genie des Himmelsſtrichs und von Zufaͤlligkeiten der Natur erhalten werden, die nie in unſerer Gewalt ſind. Bey einer ſolchen Unzu- laͤnglichkeit der Mittel iſt die Ausfuͤhrung des Unternehmens immer ſchwer, und der Gartenkuͤnſtler hat ſchon alles gethan, was ſeine Kunſt vermag, wenn er die Nachah- mung bis zu einem gewiſſen Grad der Taͤuſchung fuͤr empfindende Kenner gebracht hat, indeſſen der große Haufe nur angaffend vor ſeinem Werke voruͤbergeht. 7. Um dieſen Unbequemlichkeiten der Vorſtellungen aus der Mythologie und Dich- terfabel des Alterthums auszuweichen, kann der Gartenkuͤnſtler ſich an Scenen aus ſeiner Zeit oder aus ſeiner Nation wenden, die nicht allein eine allgemeine Verſtaͤnd- lichkeit, ſondern auch noch uͤberdieß ein ſtaͤrkeres Intereſſe haben. Er iſt hier an keine Vorbildung gefeſſelt; er erfindet ſelbſt und iſt Herr uͤber ſeine Erfindungen; die An- ordnung iſt ganz in ſeiner Gewalt; die Scene liegt gleichſam ſchon auf ſeinem Boden da. Er darf nicht zu entlegenen Huͤlfsmitteln ſeine Zuflucht nehmen; er hat alles in der Naͤhe, er kann den geraden Weg waͤhlen, und ſeiner gluͤcklichen Annaͤherung zu der Empfindung oder dem Geiſte des Zuſchauers verſichert ſeyn. Ein

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/142>, abgerufen am 25.11.2024.