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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Von den Gegenständen

Wenn also in landschaftlichen Gegenständen durch die Form Schönheit erhalten
werden soll, so scheint es, daß dieses nur durch gebogene oder gekrümmte Linien
geschehen kann. Die gerade Linie ist in der Landschaft nicht schlechterdings und ganz
ohne Schönheit. Allein gewiß ist es, daß gebogene Linien eine empfindbare Schön-
heit enthalten, einen länger beschäftigenden Eindruck machen. Ein Wald, der über
einige Hügel und Thäler fortläuft, und zu den Seiten bald hie bald da einen Arm
ausbreitet, ist unstreitig schöner, als ein anderer, der gleichsam nach der Schnur ab-
gemessen in einer Ebene ruhet. Man könnte sagen, hier ist es Abwechselung, wor-
aus Schönheit entsteht; allein die gebogene Linie ist es ja eben, die Abwechselung
hervorbringt.

Sichtbarer ist es, daß Farbe und Bewegung, als wesentliche Theile, land-
schaftliche Schönheit ausmachen.

1.
Farbe.

Die Natur wollte, daß der Mensch ihre Werke nicht mit Kaltsinnigkeit anse-
hen sollte. Sie gab daher den Oberflächen der Körper mittelst des Lichts und der
Farben einen solchen Reiz, wodurch sie Vergnügen und Wohlgefallen erwecken und
zur öftern Betrachtung einladen. Wäre alles in der Natur einfärbig, wie bald würde
nicht das Auge in dem Anschauen ermüden und der Geist Ekel und Ueberdruß em-
pfinden; eben diesen Erfolg würde der Mangel der Lebhaftigkeit und Munterkeit der
Farben haben. Die Farben rühren den Menschen überhaupt betrachtet mehr, als
die Formen; für jene braucht er nur das Auge zu öffnen, für diese reicht der bloße
Anblick noch nicht zu, wenn er nicht zugleich von Vergleichung und Beurtheilung,
also von einem Geschäfte des Geistes, begleitet wird. Die Farbe ist gleichsam eine
Art von Sprache, womit die leblosen Gegenstände der Natur zu dem Auge reden,
eine Sprache, die überall und in jedem Winkel des Erdbodens verständig ist. Durch
die Farbe erhalten die Gegenstände eine große Gewalt über die Empfindung; sie erre-
gen dadurch das Gefühl der Freude, der Liebe, der Ruhe und andre Bewegungen so
mächtig, daß man leicht wahrnimmt, daß die Gartenkunst eben so wohl vortheilhafte
Wirkungen von den Farben gewinnen kann, als die Natur selbst sie zu dieser Absicht
gebraucht.

Es ist wahr, die Natur hat eine erstaunliche Mannigfaltigkeit von Farben,
die durch Erhöhung und Mäßigung, durch Feuer und sanftere Helle, durch Mischungen

und
Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden

Wenn alſo in landſchaftlichen Gegenſtaͤnden durch die Form Schoͤnheit erhalten
werden ſoll, ſo ſcheint es, daß dieſes nur durch gebogene oder gekruͤmmte Linien
geſchehen kann. Die gerade Linie iſt in der Landſchaft nicht ſchlechterdings und ganz
ohne Schoͤnheit. Allein gewiß iſt es, daß gebogene Linien eine empfindbare Schoͤn-
heit enthalten, einen laͤnger beſchaͤftigenden Eindruck machen. Ein Wald, der uͤber
einige Huͤgel und Thaͤler fortlaͤuft, und zu den Seiten bald hie bald da einen Arm
ausbreitet, iſt unſtreitig ſchoͤner, als ein anderer, der gleichſam nach der Schnur ab-
gemeſſen in einer Ebene ruhet. Man koͤnnte ſagen, hier iſt es Abwechſelung, wor-
aus Schoͤnheit entſteht; allein die gebogene Linie iſt es ja eben, die Abwechſelung
hervorbringt.

Sichtbarer iſt es, daß Farbe und Bewegung, als weſentliche Theile, land-
ſchaftliche Schoͤnheit ausmachen.

1.
Farbe.

Die Natur wollte, daß der Menſch ihre Werke nicht mit Kaltſinnigkeit anſe-
hen ſollte. Sie gab daher den Oberflaͤchen der Koͤrper mittelſt des Lichts und der
Farben einen ſolchen Reiz, wodurch ſie Vergnuͤgen und Wohlgefallen erwecken und
zur oͤftern Betrachtung einladen. Waͤre alles in der Natur einfaͤrbig, wie bald wuͤrde
nicht das Auge in dem Anſchauen ermuͤden und der Geiſt Ekel und Ueberdruß em-
pfinden; eben dieſen Erfolg wuͤrde der Mangel der Lebhaftigkeit und Munterkeit der
Farben haben. Die Farben ruͤhren den Menſchen uͤberhaupt betrachtet mehr, als
die Formen; fuͤr jene braucht er nur das Auge zu oͤffnen, fuͤr dieſe reicht der bloße
Anblick noch nicht zu, wenn er nicht zugleich von Vergleichung und Beurtheilung,
alſo von einem Geſchaͤfte des Geiſtes, begleitet wird. Die Farbe iſt gleichſam eine
Art von Sprache, womit die lebloſen Gegenſtaͤnde der Natur zu dem Auge reden,
eine Sprache, die uͤberall und in jedem Winkel des Erdbodens verſtaͤndig iſt. Durch
die Farbe erhalten die Gegenſtaͤnde eine große Gewalt uͤber die Empfindung; ſie erre-
gen dadurch das Gefuͤhl der Freude, der Liebe, der Ruhe und andre Bewegungen ſo
maͤchtig, daß man leicht wahrnimmt, daß die Gartenkunſt eben ſo wohl vortheilhafte
Wirkungen von den Farben gewinnen kann, als die Natur ſelbſt ſie zu dieſer Abſicht
gebraucht.

Es iſt wahr, die Natur hat eine erſtaunliche Mannigfaltigkeit von Farben,
die durch Erhoͤhung und Maͤßigung, durch Feuer und ſanftere Helle, durch Miſchungen

und
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[168/0182] Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden Wenn alſo in landſchaftlichen Gegenſtaͤnden durch die Form Schoͤnheit erhalten werden ſoll, ſo ſcheint es, daß dieſes nur durch gebogene oder gekruͤmmte Linien geſchehen kann. Die gerade Linie iſt in der Landſchaft nicht ſchlechterdings und ganz ohne Schoͤnheit. Allein gewiß iſt es, daß gebogene Linien eine empfindbare Schoͤn- heit enthalten, einen laͤnger beſchaͤftigenden Eindruck machen. Ein Wald, der uͤber einige Huͤgel und Thaͤler fortlaͤuft, und zu den Seiten bald hie bald da einen Arm ausbreitet, iſt unſtreitig ſchoͤner, als ein anderer, der gleichſam nach der Schnur ab- gemeſſen in einer Ebene ruhet. Man koͤnnte ſagen, hier iſt es Abwechſelung, wor- aus Schoͤnheit entſteht; allein die gebogene Linie iſt es ja eben, die Abwechſelung hervorbringt. Sichtbarer iſt es, daß Farbe und Bewegung, als weſentliche Theile, land- ſchaftliche Schoͤnheit ausmachen. 1. Farbe. Die Natur wollte, daß der Menſch ihre Werke nicht mit Kaltſinnigkeit anſe- hen ſollte. Sie gab daher den Oberflaͤchen der Koͤrper mittelſt des Lichts und der Farben einen ſolchen Reiz, wodurch ſie Vergnuͤgen und Wohlgefallen erwecken und zur oͤftern Betrachtung einladen. Waͤre alles in der Natur einfaͤrbig, wie bald wuͤrde nicht das Auge in dem Anſchauen ermuͤden und der Geiſt Ekel und Ueberdruß em- pfinden; eben dieſen Erfolg wuͤrde der Mangel der Lebhaftigkeit und Munterkeit der Farben haben. Die Farben ruͤhren den Menſchen uͤberhaupt betrachtet mehr, als die Formen; fuͤr jene braucht er nur das Auge zu oͤffnen, fuͤr dieſe reicht der bloße Anblick noch nicht zu, wenn er nicht zugleich von Vergleichung und Beurtheilung, alſo von einem Geſchaͤfte des Geiſtes, begleitet wird. Die Farbe iſt gleichſam eine Art von Sprache, womit die lebloſen Gegenſtaͤnde der Natur zu dem Auge reden, eine Sprache, die uͤberall und in jedem Winkel des Erdbodens verſtaͤndig iſt. Durch die Farbe erhalten die Gegenſtaͤnde eine große Gewalt uͤber die Empfindung; ſie erre- gen dadurch das Gefuͤhl der Freude, der Liebe, der Ruhe und andre Bewegungen ſo maͤchtig, daß man leicht wahrnimmt, daß die Gartenkunſt eben ſo wohl vortheilhafte Wirkungen von den Farben gewinnen kann, als die Natur ſelbſt ſie zu dieſer Abſicht gebraucht. Es iſt wahr, die Natur hat eine erſtaunliche Mannigfaltigkeit von Farben, die durch Erhoͤhung und Maͤßigung, durch Feuer und ſanftere Helle, durch Miſchungen und

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/182>, abgerufen am 24.11.2024.