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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Zweyter Abschnitt.
Untersuchung des alten und des neuen Geschmacks
in den Gärten.

Auch ohne scharfsinnige Beobachtung fällt es gleich bey der ersten Betrachtung
der meisten heutigen europäischen Gärten in die Augen, daß der Geschmack
oder die Manier in denselben sich übereinstimmig auf Einen Punkt zusammengezogen
hat. Eine große Einschränkung und Einförmigkeit, eine genaue und zierliche Ab-
messung aller natürlichen und künstlichen Gegenstände, eine symmetrische Anordnung
derselben, ein Ueberfluß von willkührlichen Verzierungen -- dies ist der wesentliche
Theil von dem Charakter der Gärten, wie man sie bisher von einem Ende Europens
bis zu dem andern gesehen hat. Die mancherley kleinen Spielwerke und ängstlichen
Verunstaltungen sind mehr zufällig; wenigstens werden sie nicht überall so häufig
angetroffen.

I.
Ursprung des alten Geschmacks.

Man hat behaupten wollen, daß diese Einschränkung, Einförmigkeit, Regel-
mäßigkeit
und Symmetrie, die in den Gärten herrschend geworden sind,
und die man unter dem Namen des ältern oder des symmetrischen, oder des fran-
zösischen Gartengeschmacks
zusammenfaßt, wirklich eine Nachahmung der Gär-
ten der Alten sey, und daher ohne allen Tadel seyn müsse; zwey Irrthümer in Einer
Behauptung.

So nachläßig auch die Schriftsteller der mittlern Zeiten in Aufbewahrung der
Nachrichten gewesen, welche die Gartenkunst betreffen; so weiß man doch, daß dieser
Geschmack vor dem Zeitalter des le Notre nicht viel sichtbar geworden. Die vor-
hergehenden Jahrhunderte waren der Anlegung der Lustgärten wenig günstig. Diese,
wenn sie den Namen schon hätten verdienen können, zeigten noch überall Spuren einer
Wildniß, die weit entfernt war, sich abgemessenen Regeln zu unterwerfen. Man
schränkte sich auf den Anbau nützlicher Gewächse, auf Wasser und Schatten und die
nothwendige Reinlichkeit ein. Wie hätte man denn eben damals die Gärten der

Alten
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Zweyter Abſchnitt.
Unterſuchung des alten und des neuen Geſchmacks
in den Gaͤrten.

Auch ohne ſcharfſinnige Beobachtung faͤllt es gleich bey der erſten Betrachtung
der meiſten heutigen europaͤiſchen Gaͤrten in die Augen, daß der Geſchmack
oder die Manier in denſelben ſich uͤbereinſtimmig auf Einen Punkt zuſammengezogen
hat. Eine große Einſchraͤnkung und Einfoͤrmigkeit, eine genaue und zierliche Ab-
meſſung aller natuͤrlichen und kuͤnſtlichen Gegenſtaͤnde, eine ſymmetriſche Anordnung
derſelben, ein Ueberfluß von willkuͤhrlichen Verzierungen — dies iſt der weſentliche
Theil von dem Charakter der Gaͤrten, wie man ſie bisher von einem Ende Europens
bis zu dem andern geſehen hat. Die mancherley kleinen Spielwerke und aͤngſtlichen
Verunſtaltungen ſind mehr zufaͤllig; wenigſtens werden ſie nicht uͤberall ſo haͤufig
angetroffen.

I.
Urſprung des alten Geſchmacks.

Man hat behaupten wollen, daß dieſe Einſchraͤnkung, Einfoͤrmigkeit, Regel-
maͤßigkeit
und Symmetrie, die in den Gaͤrten herrſchend geworden ſind,
und die man unter dem Namen des aͤltern oder des ſymmetriſchen, oder des fran-
zoͤſiſchen Gartengeſchmacks
zuſammenfaßt, wirklich eine Nachahmung der Gaͤr-
ten der Alten ſey, und daher ohne allen Tadel ſeyn muͤſſe; zwey Irrthuͤmer in Einer
Behauptung.

So nachlaͤßig auch die Schriftſteller der mittlern Zeiten in Aufbewahrung der
Nachrichten geweſen, welche die Gartenkunſt betreffen; ſo weiß man doch, daß dieſer
Geſchmack vor dem Zeitalter des le Notre nicht viel ſichtbar geworden. Die vor-
hergehenden Jahrhunderte waren der Anlegung der Luſtgaͤrten wenig guͤnſtig. Dieſe,
wenn ſie den Namen ſchon haͤtten verdienen koͤnnen, zeigten noch uͤberall Spuren einer
Wildniß, die weit entfernt war, ſich abgemeſſenen Regeln zu unterwerfen. Man
ſchraͤnkte ſich auf den Anbau nuͤtzlicher Gewaͤchſe, auf Waſſer und Schatten und die
nothwendige Reinlichkeit ein. Wie haͤtte man denn eben damals die Gaͤrten der

Alten
P 3
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[117/0131] Zweyter Abſchnitt. Unterſuchung des alten und des neuen Geſchmacks in den Gaͤrten. Auch ohne ſcharfſinnige Beobachtung faͤllt es gleich bey der erſten Betrachtung der meiſten heutigen europaͤiſchen Gaͤrten in die Augen, daß der Geſchmack oder die Manier in denſelben ſich uͤbereinſtimmig auf Einen Punkt zuſammengezogen hat. Eine große Einſchraͤnkung und Einfoͤrmigkeit, eine genaue und zierliche Ab- meſſung aller natuͤrlichen und kuͤnſtlichen Gegenſtaͤnde, eine ſymmetriſche Anordnung derſelben, ein Ueberfluß von willkuͤhrlichen Verzierungen — dies iſt der weſentliche Theil von dem Charakter der Gaͤrten, wie man ſie bisher von einem Ende Europens bis zu dem andern geſehen hat. Die mancherley kleinen Spielwerke und aͤngſtlichen Verunſtaltungen ſind mehr zufaͤllig; wenigſtens werden ſie nicht uͤberall ſo haͤufig angetroffen. I. Urſprung des alten Geſchmacks. Man hat behaupten wollen, daß dieſe Einſchraͤnkung, Einfoͤrmigkeit, Regel- maͤßigkeit und Symmetrie, die in den Gaͤrten herrſchend geworden ſind, und die man unter dem Namen des aͤltern oder des ſymmetriſchen, oder des fran- zoͤſiſchen Gartengeſchmacks zuſammenfaßt, wirklich eine Nachahmung der Gaͤr- ten der Alten ſey, und daher ohne allen Tadel ſeyn muͤſſe; zwey Irrthuͤmer in Einer Behauptung. So nachlaͤßig auch die Schriftſteller der mittlern Zeiten in Aufbewahrung der Nachrichten geweſen, welche die Gartenkunſt betreffen; ſo weiß man doch, daß dieſer Geſchmack vor dem Zeitalter des le Notre nicht viel ſichtbar geworden. Die vor- hergehenden Jahrhunderte waren der Anlegung der Luſtgaͤrten wenig guͤnſtig. Dieſe, wenn ſie den Namen ſchon haͤtten verdienen koͤnnen, zeigten noch uͤberall Spuren einer Wildniß, die weit entfernt war, ſich abgemeſſenen Regeln zu unterwerfen. Man ſchraͤnkte ſich auf den Anbau nuͤtzlicher Gewaͤchſe, auf Waſſer und Schatten und die nothwendige Reinlichkeit ein. Wie haͤtte man denn eben damals die Gaͤrten der Alten P 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/131>, abgerufen am 29.03.2024.