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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der Alten und der Neuen.
wovon ich den größten Theil in der angeführten Beschreibung weggelassen habe.
Ich ward von so vielen reizenden Scenen entzückt, und vergaß bey dieser Bewegung
nachzudenken, ob sich auch alles wirklich so verhalten möchte. Ein wiederholtes Lesen
ließ mir mit einer gelassenen Behagung mehr Ruhe, zu überlegen. Ich fieng an
gegen die Wirklichkeit solcher Gärten hie und da einen Zweifel zu finden, und konnte
mich schon vor einiger Zeit nicht enthalten, einige davon zu äußern. Bey einer nä-
hern Vergleichung verschiedener einsichtsvollen Schriftsteller, die von China handeln,
habe ich Gründe entdeckt, die mich noch mehr an dem Daseyn solcher Gärten zweifeln
machen, wie Chambers die chinesischen beschreibt. Ich theile sie hier zur weitern
Beurtheilung mit.

China ist, nach zuverläßigen Zeugnissen der Reisenden, bey weitem nicht so
sehr angebauet, als man oft vorgegeben hat. Sogar nahe um Peking giebt es noch
einige meilenlange Wüsten und Moräste. Die entlegenen Provinzen liegen fast alle
ganz wüste, zum Theil so wüste, daß Tiger und andere wilde Thiere in Menge um-
herschwärmen. Der Handel versammlet die Einwohner um die Hauptstadt und
[s]chönen Flüsse her, wodurch ein so starker Zusammenfluß von Menschen entsteht, daß
die oft einreißende Hungersnoth die schrecklichsten Verwüstungen angerichtet hat.
In diesen Gegenden, wo sich die Thätigkeit der Nation am meisten äußert, müßte
man die so sehr gerühmten Gärten suchen, wenn anders die nothwendige Sorge,
durch Ackerbau den harten Bedürfnissen abzuhelfen, noch Zeit und Ruhe zur Anle-
gung ländlicher Lustplätze verstattete. Je weiter man in die Provinzen hineinkömmt,
desto weniger trifft man bebauete Länder an; nicht die Hälfte des Erdreichs ist genutzt;
nur selten erscheint ein Dorf. Auch weiß man, daß die Chineser wenig Liebe zum
Landbau besitzen, die überdieß mit dem heißen Wuchergeist, einer fast allgemeinen
Seuche der Nation, nicht vereinbar ist.

Comte, du Halde und andere glaubwürdige Zeugen rühmen zwar den Anbau
der Küchengewächse in China, wovon die Gärten nie leer sind, weil sich besonders
der gemeine Mann davon ernährt. Allein sie bemerken zugleich, daß an der Menge
und Mannigfaltigkeit der Gewächse und Früchte mehr der gute Erdboden, als die
Geschicklichkeit der Einwohner Antheil hat. Die meisten Früchte, setzen sie hinzu,
kommen den unsrigen nicht gleich, weil die Chineser nicht die Kunst verstehen,
oder sich nicht die Mühe nehmen, die Baumfrüchte zu verbessern, und ihnen einen
mehr anziehenden Geschmack zu geben. Alle ihre Sorgfalt von dieser Seite
schränkt sich auf den Kornbau und Reisbau ein. Von der Botanik wissen sie fast
nichts.

Es

der Alten und der Neuen.
wovon ich den groͤßten Theil in der angefuͤhrten Beſchreibung weggelaſſen habe.
Ich ward von ſo vielen reizenden Scenen entzuͤckt, und vergaß bey dieſer Bewegung
nachzudenken, ob ſich auch alles wirklich ſo verhalten moͤchte. Ein wiederholtes Leſen
ließ mir mit einer gelaſſenen Behagung mehr Ruhe, zu uͤberlegen. Ich fieng an
gegen die Wirklichkeit ſolcher Gaͤrten hie und da einen Zweifel zu finden, und konnte
mich ſchon vor einiger Zeit nicht enthalten, einige davon zu aͤußern. Bey einer naͤ-
hern Vergleichung verſchiedener einſichtsvollen Schriftſteller, die von China handeln,
habe ich Gruͤnde entdeckt, die mich noch mehr an dem Daſeyn ſolcher Gaͤrten zweifeln
machen, wie Chambers die chineſiſchen beſchreibt. Ich theile ſie hier zur weitern
Beurtheilung mit.

China iſt, nach zuverlaͤßigen Zeugniſſen der Reiſenden, bey weitem nicht ſo
ſehr angebauet, als man oft vorgegeben hat. Sogar nahe um Peking giebt es noch
einige meilenlange Wuͤſten und Moraͤſte. Die entlegenen Provinzen liegen faſt alle
ganz wuͤſte, zum Theil ſo wuͤſte, daß Tiger und andere wilde Thiere in Menge um-
herſchwaͤrmen. Der Handel verſammlet die Einwohner um die Hauptſtadt und
[ſ]choͤnen Fluͤſſe her, wodurch ein ſo ſtarker Zuſammenfluß von Menſchen entſteht, daß
die oft einreißende Hungersnoth die ſchrecklichſten Verwuͤſtungen angerichtet hat.
In dieſen Gegenden, wo ſich die Thaͤtigkeit der Nation am meiſten aͤußert, muͤßte
man die ſo ſehr geruͤhmten Gaͤrten ſuchen, wenn anders die nothwendige Sorge,
durch Ackerbau den harten Beduͤrfniſſen abzuhelfen, noch Zeit und Ruhe zur Anle-
gung laͤndlicher Luſtplaͤtze verſtattete. Je weiter man in die Provinzen hineinkoͤmmt,
deſto weniger trifft man bebauete Laͤnder an; nicht die Haͤlfte des Erdreichs iſt genutzt;
nur ſelten erſcheint ein Dorf. Auch weiß man, daß die Chineſer wenig Liebe zum
Landbau beſitzen, die uͤberdieß mit dem heißen Wuchergeiſt, einer faſt allgemeinen
Seuche der Nation, nicht vereinbar iſt.

Comte, du Halde und andere glaubwuͤrdige Zeugen ruͤhmen zwar den Anbau
der Kuͤchengewaͤchſe in China, wovon die Gaͤrten nie leer ſind, weil ſich beſonders
der gemeine Mann davon ernaͤhrt. Allein ſie bemerken zugleich, daß an der Menge
und Mannigfaltigkeit der Gewaͤchſe und Fruͤchte mehr der gute Erdboden, als die
Geſchicklichkeit der Einwohner Antheil hat. Die meiſten Fruͤchte, ſetzen ſie hinzu,
kommen den unſrigen nicht gleich, weil die Chineſer nicht die Kunſt verſtehen,
oder ſich nicht die Muͤhe nehmen, die Baumfruͤchte zu verbeſſern, und ihnen einen
mehr anziehenden Geſchmack zu geben. Alle ihre Sorgfalt von dieſer Seite
ſchraͤnkt ſich auf den Kornbau und Reisbau ein. Von der Botanik wiſſen ſie faſt
nichts.

Es
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[95/0109] der Alten und der Neuen. wovon ich den groͤßten Theil in der angefuͤhrten Beſchreibung weggelaſſen habe. Ich ward von ſo vielen reizenden Scenen entzuͤckt, und vergaß bey dieſer Bewegung nachzudenken, ob ſich auch alles wirklich ſo verhalten moͤchte. Ein wiederholtes Leſen ließ mir mit einer gelaſſenen Behagung mehr Ruhe, zu uͤberlegen. Ich fieng an gegen die Wirklichkeit ſolcher Gaͤrten hie und da einen Zweifel zu finden, und konnte mich ſchon vor einiger Zeit nicht enthalten, einige davon zu aͤußern. Bey einer naͤ- hern Vergleichung verſchiedener einſichtsvollen Schriftſteller, die von China handeln, habe ich Gruͤnde entdeckt, die mich noch mehr an dem Daſeyn ſolcher Gaͤrten zweifeln machen, wie Chambers die chineſiſchen beſchreibt. Ich theile ſie hier zur weitern Beurtheilung mit. China iſt, nach zuverlaͤßigen Zeugniſſen der Reiſenden, bey weitem nicht ſo ſehr angebauet, als man oft vorgegeben hat. Sogar nahe um Peking giebt es noch einige meilenlange Wuͤſten und Moraͤſte. Die entlegenen Provinzen liegen faſt alle ganz wuͤſte, zum Theil ſo wuͤſte, daß Tiger und andere wilde Thiere in Menge um- herſchwaͤrmen. Der Handel verſammlet die Einwohner um die Hauptſtadt und ſchoͤnen Fluͤſſe her, wodurch ein ſo ſtarker Zuſammenfluß von Menſchen entſteht, daß die oft einreißende Hungersnoth die ſchrecklichſten Verwuͤſtungen angerichtet hat. In dieſen Gegenden, wo ſich die Thaͤtigkeit der Nation am meiſten aͤußert, muͤßte man die ſo ſehr geruͤhmten Gaͤrten ſuchen, wenn anders die nothwendige Sorge, durch Ackerbau den harten Beduͤrfniſſen abzuhelfen, noch Zeit und Ruhe zur Anle- gung laͤndlicher Luſtplaͤtze verſtattete. Je weiter man in die Provinzen hineinkoͤmmt, deſto weniger trifft man bebauete Laͤnder an; nicht die Haͤlfte des Erdreichs iſt genutzt; nur ſelten erſcheint ein Dorf. Auch weiß man, daß die Chineſer wenig Liebe zum Landbau beſitzen, die uͤberdieß mit dem heißen Wuchergeiſt, einer faſt allgemeinen Seuche der Nation, nicht vereinbar iſt. Comte, du Halde und andere glaubwuͤrdige Zeugen ruͤhmen zwar den Anbau der Kuͤchengewaͤchſe in China, wovon die Gaͤrten nie leer ſind, weil ſich beſonders der gemeine Mann davon ernaͤhrt. Allein ſie bemerken zugleich, daß an der Menge und Mannigfaltigkeit der Gewaͤchſe und Fruͤchte mehr der gute Erdboden, als die Geſchicklichkeit der Einwohner Antheil hat. Die meiſten Fruͤchte, ſetzen ſie hinzu, kommen den unſrigen nicht gleich, weil die Chineſer nicht die Kunſt verſtehen, oder ſich nicht die Muͤhe nehmen, die Baumfruͤchte zu verbeſſern, und ihnen einen mehr anziehenden Geſchmack zu geben. Alle ihre Sorgfalt von dieſer Seite ſchraͤnkt ſich auf den Kornbau und Reisbau ein. Von der Botanik wiſſen ſie faſt nichts. Es

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/109>, abgerufen am 29.03.2024.