dass auch der Gelehrteste, wenn er sich ir- gend kurz fassen kann, kaum drei Wochen gebrauchen würde, um alles zu beichten, was er wirklich weiss, und selbst was er wirklich glaubt, so dass sein Wissen und sein Weissa- gen doch immer nur Stückwerk ist; ansser- dem dass zwischen Zuckerbrot der Lektüre, und dem herben Wein der Erfahrung ein gro- sser Unterschied bleibt: so ist das Ende vom Liede aller Wissenschaften und alles gelehrten Dichtens und Trachtens, (wenn es nicht bloss Lückenfüller und Langeweiltröster seyn soll) moralisch besser zu werden. Sind wir das? O, alsdann tret' ich beschämt zurück, wider- rufe Alles, was in meiner Schrift nur nach Apologie aussieht, und bleibe bloss bei der demüthigsten Bitte, dem andern Geschlechte durch eine bürgerliche Verbesserung Zeit und Raum zur moralischen Busse zu gönnen; und es zur Verpflichtung gegen die Gesetze des Staates, zu jener bestimmten und äusserlich vollkommenen Verpflichtung zuzulassen, die doch jeder Staatstheilnehmer oder Bürger ha- ben sollte --
daſs auch der Gelehrteste, wenn er sich ir- gend kurz fassen kann, kaum drei Wochen gebrauchen würde, um alles zu beichten, was er wirklich weiſs, und selbst was er wirklich glaubt, so daſs sein Wissen und sein Weiſsa- gen doch immer nur Stückwerk ist; anſser- dem daſs zwischen Zuckerbrot der Lektüre, und dem herben Wein der Erfahrung ein gro- ſser Unterschied bleibt: so ist das Ende vom Liede aller Wissenschaften und alles gelehrten Dichtens und Trachtens, (wenn es nicht bloſs Lückenfüller und Langeweiltröster seyn soll) moralisch besser zu werden. Sind wir das? O, alsdann tret’ ich beschämt zurück, wider- rufe Alles, was in meiner Schrift nur nach Apologie aussieht, und bleibe bloſs bei der demüthigsten Bitte, dem andern Geschlechte durch eine bürgerliche Verbesserung Zeit und Raum zur moralischen Buſse zu gönnen; und es zur Verpflichtung gegen die Gesetze des Staates, zu jener bestimmten und äuſserlich vollkommenen Verpflichtung zuzulassen, die doch jeder Staatstheilnehmer oder Bürger ha- ben sollte —
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0421"n="413"/>
daſs auch der Gelehrteste, wenn er sich ir-<lb/>
gend kurz fassen kann, kaum drei Wochen<lb/>
gebrauchen würde, um alles zu beichten, was<lb/>
er wirklich <hirendition="#i">weiſs</hi>, und selbst was er wirklich<lb/><hirendition="#i">glaubt</hi>, so daſs sein Wissen und sein Weiſsa-<lb/>
gen doch immer nur Stückwerk ist; anſser-<lb/>
dem daſs zwischen Zuckerbrot der Lektüre,<lb/>
und dem herben Wein der Erfahrung ein gro-<lb/>ſser Unterschied bleibt: so ist das Ende vom<lb/>
Liede aller Wissenschaften und alles gelehrten<lb/>
Dichtens und Trachtens, (wenn es nicht bloſs<lb/>
Lückenfüller und Langeweiltröster seyn soll)<lb/><hirendition="#i">moralisch besser zu werden</hi>. Sind wir das?<lb/>
O, alsdann tret’ ich beschämt zurück, wider-<lb/>
rufe Alles, was in meiner Schrift nur nach<lb/>
Apologie aussieht, und bleibe bloſs bei der<lb/>
demüthigsten Bitte, dem andern Geschlechte<lb/>
durch eine bürgerliche Verbesserung Zeit und<lb/>
Raum zur moralischen Buſse zu gönnen; und<lb/>
es zur Verpflichtung gegen die Gesetze des<lb/>
Staates, zu jener bestimmten und äuſserlich<lb/>
vollkommenen Verpflichtung zuzulassen, die<lb/>
doch jeder Staatstheilnehmer oder Bürger ha-<lb/>
ben sollte —</p><lb/></div></body></text></TEI>
[413/0421]
daſs auch der Gelehrteste, wenn er sich ir-
gend kurz fassen kann, kaum drei Wochen
gebrauchen würde, um alles zu beichten, was
er wirklich weiſs, und selbst was er wirklich
glaubt, so daſs sein Wissen und sein Weiſsa-
gen doch immer nur Stückwerk ist; anſser-
dem daſs zwischen Zuckerbrot der Lektüre,
und dem herben Wein der Erfahrung ein gro-
ſser Unterschied bleibt: so ist das Ende vom
Liede aller Wissenschaften und alles gelehrten
Dichtens und Trachtens, (wenn es nicht bloſs
Lückenfüller und Langeweiltröster seyn soll)
moralisch besser zu werden. Sind wir das?
O, alsdann tret’ ich beschämt zurück, wider-
rufe Alles, was in meiner Schrift nur nach
Apologie aussieht, und bleibe bloſs bei der
demüthigsten Bitte, dem andern Geschlechte
durch eine bürgerliche Verbesserung Zeit und
Raum zur moralischen Buſse zu gönnen; und
es zur Verpflichtung gegen die Gesetze des
Staates, zu jener bestimmten und äuſserlich
vollkommenen Verpflichtung zuzulassen, die
doch jeder Staatstheilnehmer oder Bürger ha-
ben sollte —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/421>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.