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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

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Schrift anhängen kann, sind, wenn er durch
seine Darstellungen uns an uns selbst erinnert;
wenn seine Schrift dem Menschen durch das
Herz geht; wenn die Leser sich einbilden: es
fehle wenig oder nichts, so hätten sie diese
Schrift selbst stellen können; sie wären im
Stande gewesen, sie dem Autor in die Feder
zu sagen; aus ihrem Herzen hätt' er es ge-
nommen und ihnen verkündiget -- Solch ein
Widerschein erleuchtet und frommt! -- Wir
lassen uns von Ideen, wie Sokrates von seinem
Dämon, verfolgen, wir versetzen uns, wie
Plato, in eine Republik; und so wie der,
welcher ein unverwandtes Auge auf Einen
Punkt heftet, zuletzt sieht, was er sehen will:
so sehen auch wir mit dem Auge der Seele
Windmühlen für Riesen, Wirthshäuser für
Schlösser, Teiche für Weltmeere, eine Abde-
ritische Posse für einen wohlüberdachten Fi-
nanz-Kniff oder Operation an -- Nicht ge-
nug; auch Worte spielen den Meister nur zu
oft über uns -- Wir veruntreuen ihre Bedeu-
tung, werfen eine willkührliche Markscheidung
derselben auf, und fallen, wie Leute, die reich

Schrift anhängen kann, sind, wenn er durch
seine Darstellungen uns an uns selbst erinnert;
wenn seine Schrift dem Menschen durch das
Herz geht; wenn die Leser sich einbilden: es
fehle wenig oder nichts, so hätten sie diese
Schrift selbst stellen können; sie wären im
Stande gewesen, sie dem Autor in die Feder
zu sagen; aus ihrem Herzen hätt’ er es ge-
nommen und ihnen verkündiget — Solch ein
Widerschein erleuchtet und frommt! — Wir
lassen uns von Ideen, wie Sokrates von seinem
Dämon, verfolgen, wir versetzen uns, wie
Plato, in eine Republik; und so wie der,
welcher ein unverwandtes Auge auf Einen
Punkt heftet, zuletzt sieht, was er sehen will:
so sehen auch wir mit dem Auge der Seele
Windmühlen für Riesen, Wirthshäuser für
Schlösser, Teiche für Weltmeere, eine Abde-
ritische Posse für einen wohlüberdachten Fi-
nanz-Kniff oder Operation an — Nicht ge-
nug; auch Worte spielen den Meister nur zu
oft über uns — Wir veruntreuen ihre Bedeu-
tung, werfen eine willkührliche Markscheidung
derselben auf, und fallen, wie Leute, die reich

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[386/0394] Schrift anhängen kann, sind, wenn er durch seine Darstellungen uns an uns selbst erinnert; wenn seine Schrift dem Menschen durch das Herz geht; wenn die Leser sich einbilden: es fehle wenig oder nichts, so hätten sie diese Schrift selbst stellen können; sie wären im Stande gewesen, sie dem Autor in die Feder zu sagen; aus ihrem Herzen hätt’ er es ge- nommen und ihnen verkündiget — Solch ein Widerschein erleuchtet und frommt! — Wir lassen uns von Ideen, wie Sokrates von seinem Dämon, verfolgen, wir versetzen uns, wie Plato, in eine Republik; und so wie der, welcher ein unverwandtes Auge auf Einen Punkt heftet, zuletzt sieht, was er sehen will: so sehen auch wir mit dem Auge der Seele Windmühlen für Riesen, Wirthshäuser für Schlösser, Teiche für Weltmeere, eine Abde- ritische Posse für einen wohlüberdachten Fi- nanz-Kniff oder Operation an — Nicht ge- nug; auch Worte spielen den Meister nur zu oft über uns — Wir veruntreuen ihre Bedeu- tung, werfen eine willkührliche Markscheidung derselben auf, und fallen, wie Leute, die reich

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/394>, abgerufen am 12.05.2024.