Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

das andere Geschlecht diese gefährliche Kunst
triebe. Die Anlage des andern Geschlechtes
zur Arzeneikunst und Chirurgie beweiset un-
widerlegbar seine vorzügliche Beobachtungsga-
be. Nicht leicht entgehet seiner Aufmerksam-
keit auch nur die kleinste vorübergehendste
Veränderung der Farbe, der Mienen, des Au-
ges -- Jede, auch die unbeträchtlichste,
krampfhafte Bewegung der Muskeln weiss sein
Blick zu erreichen. Sein Takt ist zarter und
feiner, und auch da noch fühlt es Pulsschlä-
ge, wo der Arzt, wegen seines gröberen Ge-
fühls, nichts mehr bemerkt. Der leiseste
Hauch entgeht den Weibern nicht; sie verneh-
men noch das Wort, das auf der Lippe zit-
terte und starb, und oft verstehen sie die Ge-
danken -- Am praktischen Urtheil, von ihren
gesammelten Beobachtungen Gebrauch zu ma-
chen, fehlt es ihnen sicher nicht -- Schon
jetzt bei dem kargen Vorrath von Kenntnissen,
und ohne allen Beistand der Kunst, überneh-
men sie Kuren, die dem erfahrensten Arzte,
wo nicht lauten, so doch stillschweigenden
Beifall abzwingen. Wie viel weiter würden

das andere Geschlecht diese gefährliche Kunst
triebe. Die Anlage des andern Geschlechtes
zur Arzeneikunst und Chirurgie beweiset un-
widerlegbar seine vorzügliche Beobachtungsga-
be. Nicht leicht entgehet seiner Aufmerksam-
keit auch nur die kleinste vorübergehendste
Veränderung der Farbe, der Mienen, des Au-
ges — Jede, auch die unbeträchtlichste,
krampfhafte Bewegung der Muskeln weiſs sein
Blick zu erreichen. Sein Takt ist zarter und
feiner, und auch da noch fühlt es Pulsschlä-
ge, wo der Arzt, wegen seines gröberen Ge-
fühls, nichts mehr bemerkt. Der leiseste
Hauch entgeht den Weibern nicht; sie verneh-
men noch das Wort, das auf der Lippe zit-
terte und starb, und oft verstehen sie die Ge-
danken — Am praktischen Urtheil, von ihren
gesammelten Beobachtungen Gebrauch zu ma-
chen, fehlt es ihnen sicher nicht — Schon
jetzt bei dem kargen Vorrath von Kenntnissen,
und ohne allen Beistand der Kunst, überneh-
men sie Kuren, die dem erfahrensten Arzte,
wo nicht lauten, so doch stillschweigenden
Beifall abzwingen. Wie viel weiter würden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0340" n="332"/>
das andere Geschlecht diese <hi rendition="#i">gefährliche Kunst</hi><lb/>
triebe. Die Anlage des andern Geschlechtes<lb/>
zur Arzeneikunst und Chirurgie beweiset un-<lb/>
widerlegbar seine vorzügliche Beobachtungsga-<lb/>
be. Nicht leicht entgehet seiner Aufmerksam-<lb/>
keit auch nur die kleinste vorübergehendste<lb/>
Veränderung der Farbe, der Mienen, des Au-<lb/>
ges &#x2014; Jede, auch die unbeträchtlichste,<lb/>
krampfhafte Bewegung der Muskeln wei&#x017F;s sein<lb/>
Blick zu erreichen. Sein Takt ist zarter und<lb/>
feiner, und auch da noch fühlt es Pulsschlä-<lb/>
ge, wo der Arzt, wegen seines gröberen Ge-<lb/>
fühls, nichts mehr bemerkt. Der leiseste<lb/>
Hauch entgeht den Weibern nicht; sie verneh-<lb/>
men noch das Wort, das auf der Lippe zit-<lb/>
terte und starb, und oft verstehen sie die Ge-<lb/>
danken &#x2014; Am praktischen Urtheil, von ihren<lb/>
gesammelten Beobachtungen Gebrauch zu ma-<lb/>
chen, fehlt es ihnen sicher nicht &#x2014; Schon<lb/>
jetzt bei dem kargen Vorrath von Kenntnissen,<lb/>
und ohne allen Beistand der Kunst, überneh-<lb/>
men sie Kuren, die dem erfahrensten Arzte,<lb/>
wo nicht lauten, so doch stillschweigenden<lb/>
Beifall abzwingen. Wie viel weiter würden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0340] das andere Geschlecht diese gefährliche Kunst triebe. Die Anlage des andern Geschlechtes zur Arzeneikunst und Chirurgie beweiset un- widerlegbar seine vorzügliche Beobachtungsga- be. Nicht leicht entgehet seiner Aufmerksam- keit auch nur die kleinste vorübergehendste Veränderung der Farbe, der Mienen, des Au- ges — Jede, auch die unbeträchtlichste, krampfhafte Bewegung der Muskeln weiſs sein Blick zu erreichen. Sein Takt ist zarter und feiner, und auch da noch fühlt es Pulsschlä- ge, wo der Arzt, wegen seines gröberen Ge- fühls, nichts mehr bemerkt. Der leiseste Hauch entgeht den Weibern nicht; sie verneh- men noch das Wort, das auf der Lippe zit- terte und starb, und oft verstehen sie die Ge- danken — Am praktischen Urtheil, von ihren gesammelten Beobachtungen Gebrauch zu ma- chen, fehlt es ihnen sicher nicht — Schon jetzt bei dem kargen Vorrath von Kenntnissen, und ohne allen Beistand der Kunst, überneh- men sie Kuren, die dem erfahrensten Arzte, wo nicht lauten, so doch stillschweigenden Beifall abzwingen. Wie viel weiter würden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/340
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/340>, abgerufen am 10.05.2024.