bedenklich hält, glaubt sich, wo nicht recht- fertigen, so doch entschuldigen zu können, wenn er seinen Herrn oder seinen Freund verräth! -- Männer sind so fein sich zu überreden, dass sie zum Heil und Frommen eines besseren Menschen das Beichtsiegel bre- chen können, das auf die Geständnisse eines minder guten schon gedrückt war! -- Man- cher Richter macht sich kein Gewissen, un- ter Versicherung des Nichtgebrauchs, Bekennt- nisse herauszulocken. "Hat denn," fragt er, "der Staat nicht mehr Recht auf mich, als meine Verbindlichkeit?" Du irrest, Verräther! der Tugend stehet das grössere Recht zu. Die Pflichten gegen das Vaterland heben bei weitem nicht alle anderen Pflichten auf, und ein Bürger muss nie aufhören ein Mensch zu bleiben. Im Kriege selbst darf man den Vor- zug nicht aufgeben, ein Freund seines Freun- des zu seyn! Auch haben die Männer ein verrätherisches Schweigen, ein Achselziehen im Gebrauch, die Weise ein halbes Wort zu sagen, den ersten Buchstaben anzugeben -- Diese Judas-Verrätherei durch einen Kuss, die-
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bedenklich hält, glaubt sich, wo nicht recht- fertigen, so doch entschuldigen zu können, wenn er seinen Herrn oder seinen Freund verräth! — Männer sind so fein sich zu überreden, daſs sie zum Heil und Frommen eines besseren Menschen das Beichtsiegel bre- chen können, das auf die Geständnisse eines minder guten schon gedrückt war! — Man- cher Richter macht sich kein Gewissen, un- ter Versicherung des Nichtgebrauchs, Bekennt- nisse herauszulocken. »Hat denn,» fragt er, »der Staat nicht mehr Recht auf mich, als meine Verbindlichkeit?» Du irrest, Verräther! der Tugend stehet das gröſsere Recht zu. Die Pflichten gegen das Vaterland heben bei weitem nicht alle anderen Pflichten auf, und ein Bürger muſs nie aufhören ein Mensch zu bleiben. Im Kriege selbst darf man den Vor- zug nicht aufgeben, ein Freund seines Freun- des zu seyn! Auch haben die Männer ein verrätherisches Schweigen, ein Achselziehen im Gebrauch, die Weise ein halbes Wort zu sagen, den ersten Buchstaben anzugeben — Diese Judas-Verrätherei durch einen Kuſs, die-
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bedenklich hält, glaubt sich, wo nicht recht-
fertigen, so doch entschuldigen zu können,
wenn er seinen Herrn oder seinen Freund
verräth! — Männer sind so fein sich zu
überreden, daſs sie zum Heil und Frommen
eines besseren Menschen das Beichtsiegel bre-
chen können, das auf die Geständnisse eines
minder guten schon gedrückt war! — Man-
cher Richter macht sich kein Gewissen, un-
ter Versicherung des Nichtgebrauchs, Bekennt-
nisse herauszulocken. »Hat denn,» fragt er,
»der Staat nicht mehr Recht auf mich, als
meine Verbindlichkeit?» Du irrest, Verräther!
der Tugend stehet das gröſsere Recht zu.
Die Pflichten gegen das Vaterland heben bei
weitem nicht alle anderen Pflichten auf, und
ein Bürger muſs nie aufhören ein Mensch zu
bleiben. Im Kriege selbst darf man den Vor-
zug nicht aufgeben, ein Freund seines Freun-
des zu seyn! Auch haben die Männer ein
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/319>, abgerufen am 22.11.2024.
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