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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

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Menschheit ist nicht speculirende Vernunft,
nicht Philosophie allein, sondern ein gewisses
Etwas, das, wenn es Regierungskunst heisst,
eine Kunst ist, der die Natur selbst sich un-
bedenklich unterwirft -- Ein kühler Trunk
kann Lebensgeister zu der Wohnung, die sie
fast schon verlassen hatten, zurückrufen, kann
aber auch ein Gift für den erhitzten Wande-
rer werden: Das Schwert, das uns beschützt,
wird leicht unser Mordgewehr. Die gebildete
Freiheit, die sich so sehr von der unregelmä-
ssigen und von dem höchsten Grade dersel-
ben, der Zügellosigkeit, unterscheidet, könnte
christliche Freiheit heissen. Und ihre Schu-
le? -- ist die Schule der Weiber. -- Wenn
Männer mit Verzichtleistung auf ihre Stärke,
die so leicht in Leidenschaft ausartet, eigent-
liche Christen werden, und Selbstrache, Blut-
vergiessen, alle Machtsprüche und Machtbe-
weise aufopfern sollen; so wähnen sie, dass
sie bei diesen christlichen Tugenden ihr Ge-
schlecht einbüssen -- Es ist schwer Gutes zu
wollen und zu thun, wenn das so leicht aus-
zuführende Böse noch obendrein Ehre bringt --

Menschheit ist nicht speculirende Vernunft,
nicht Philosophie allein, sondern ein gewisses
Etwas, das, wenn es Regierungskunst heiſst,
eine Kunst ist, der die Natur selbst sich un-
bedenklich unterwirft — Ein kühler Trunk
kann Lebensgeister zu der Wohnung, die sie
fast schon verlassen hatten, zurückrufen, kann
aber auch ein Gift für den erhitzten Wande-
rer werden: Das Schwert, das uns beschützt,
wird leicht unser Mordgewehr. Die gebildete
Freiheit, die sich so sehr von der unregelmä-
ſsigen und von dem höchsten Grade dersel-
ben, der Zügellosigkeit, unterscheidet, könnte
christliche Freiheit heiſsen. Und ihre Schu-
le? — ist die Schule der Weiber. — Wenn
Männer mit Verzichtleistung auf ihre Stärke,
die so leicht in Leidenschaft ausartet, eigent-
liche Christen werden, und Selbstrache, Blut-
vergieſsen, alle Machtsprüche und Machtbe-
weise aufopfern sollen; so wähnen sie, daſs
sie bei diesen christlichen Tugenden ihr Ge-
schlecht einbüſsen — Es ist schwer Gutes zu
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zuführende Böse noch obendrein Ehre bringt —

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[242/0250] Menschheit ist nicht speculirende Vernunft, nicht Philosophie allein, sondern ein gewisses Etwas, das, wenn es Regierungskunst heiſst, eine Kunst ist, der die Natur selbst sich un- bedenklich unterwirft — Ein kühler Trunk kann Lebensgeister zu der Wohnung, die sie fast schon verlassen hatten, zurückrufen, kann aber auch ein Gift für den erhitzten Wande- rer werden: Das Schwert, das uns beschützt, wird leicht unser Mordgewehr. Die gebildete Freiheit, die sich so sehr von der unregelmä- ſsigen und von dem höchsten Grade dersel- ben, der Zügellosigkeit, unterscheidet, könnte christliche Freiheit heiſsen. Und ihre Schu- le? — ist die Schule der Weiber. — Wenn Männer mit Verzichtleistung auf ihre Stärke, die so leicht in Leidenschaft ausartet, eigent- liche Christen werden, und Selbstrache, Blut- vergieſsen, alle Machtsprüche und Machtbe- weise aufopfern sollen; so wähnen sie, daſs sie bei diesen christlichen Tugenden ihr Ge- schlecht einbüſsen — Es ist schwer Gutes zu wollen und zu thun, wenn das so leicht aus- zuführende Böse noch obendrein Ehre bringt —

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/250>, abgerufen am 28.04.2024.