nicht genug zu fühlen; oder wohl gar sich für verpflichtet zu halten, den gemachten Versu- chen, Bürger zu bilden, Hindernisse in den Weg zu legen. Wenn die Befehlshaber des Volkes bedächten, dass nichts als eine gute Erziehung sie auf immer in dem Besitz ge- setzlicher und auf Verträge sich gründender Vorzüge sichern kann; sie würden zu dieser ihrer Zeit bedenken, was zu ihrem Frieden dienet. Lange hat man Erziehung und Un- terricht, die doch ihrem Wesen, ihrer Form und ihrem Endzwecke nach so sehr unter- schieden sind, für Eins gehalten. Lange mu- thete man Lehrern zu, die in der Regel selbst keine Erziehung hatten, sie sollten zugleich Erzieher seyn; und man wusste nicht zu begrei- fen, wie man gelehrt seyn und doch keine Sitten haben könnte. Fest glaubte man an das goldene Sprichwort: dass Künste und Sitten Schwestern und Brüder sind, und Niemand dachte daran zu untersuchen, ob Künste und Sitten sich wie Ursache und Wirkung ver- hielten.
Rechnet man zu diesen Mängeln den Um-
O 4
nicht genug zu fühlen; oder wohl gar sich für verpflichtet zu halten, den gemachten Versu- chen, Bürger zu bilden, Hindernisse in den Weg zu legen. Wenn die Befehlshaber des Volkes bedächten, daſs nichts als eine gute Erziehung sie auf immer in dem Besitz ge- setzlicher und auf Verträge sich gründender Vorzüge sichern kann; sie würden zu dieser ihrer Zeit bedenken, was zu ihrem Frieden dienet. Lange hat man Erziehung und Un- terricht, die doch ihrem Wesen, ihrer Form und ihrem Endzwecke nach so sehr unter- schieden sind, für Eins gehalten. Lange mu- thete man Lehrern zu, die in der Regel selbst keine Erziehung hatten, sie sollten zugleich Erzieher seyn; und man wuſste nicht zu begrei- fen, wie man gelehrt seyn und doch keine Sitten haben könnte. Fest glaubte man an das goldene Sprichwort: daſs Künste und Sitten Schwestern und Brüder sind, und Niemand dachte daran zu untersuchen, ob Künste und Sitten sich wie Ursache und Wirkung ver- hielten.
Rechnet man zu diesen Mängeln den Um-
O 4
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0223"n="215"/>
nicht genug zu fühlen; oder wohl gar sich für<lb/>
verpflichtet zu halten, den gemachten Versu-<lb/>
chen, Bürger zu bilden, Hindernisse in den<lb/>
Weg zu legen. Wenn die Befehlshaber des<lb/>
Volkes bedächten, daſs nichts als eine gute<lb/>
Erziehung sie auf immer in dem Besitz ge-<lb/>
setzlicher und auf Verträge sich gründender<lb/>
Vorzüge sichern kann; sie würden zu dieser<lb/>
ihrer Zeit bedenken, was zu ihrem Frieden<lb/>
dienet. Lange hat man Erziehung und Un-<lb/>
terricht, die doch ihrem Wesen, ihrer Form<lb/>
und ihrem Endzwecke nach so sehr unter-<lb/>
schieden sind, für Eins gehalten. Lange mu-<lb/>
thete man Lehrern zu, die in der Regel selbst<lb/>
keine Erziehung hatten, sie sollten zugleich<lb/>
Erzieher seyn; und man wuſste nicht zu begrei-<lb/>
fen, wie man gelehrt seyn und doch keine<lb/>
Sitten haben könnte. Fest glaubte man an das<lb/>
goldene Sprichwort: daſs Künste und Sitten<lb/>
Schwestern und Brüder sind, und Niemand<lb/>
dachte daran zu untersuchen, ob Künste und<lb/>
Sitten sich wie Ursache und Wirkung ver-<lb/>
hielten.</p><lb/><p>Rechnet man zu diesen Mängeln den Um-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 4</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[215/0223]
nicht genug zu fühlen; oder wohl gar sich für
verpflichtet zu halten, den gemachten Versu-
chen, Bürger zu bilden, Hindernisse in den
Weg zu legen. Wenn die Befehlshaber des
Volkes bedächten, daſs nichts als eine gute
Erziehung sie auf immer in dem Besitz ge-
setzlicher und auf Verträge sich gründender
Vorzüge sichern kann; sie würden zu dieser
ihrer Zeit bedenken, was zu ihrem Frieden
dienet. Lange hat man Erziehung und Un-
terricht, die doch ihrem Wesen, ihrer Form
und ihrem Endzwecke nach so sehr unter-
schieden sind, für Eins gehalten. Lange mu-
thete man Lehrern zu, die in der Regel selbst
keine Erziehung hatten, sie sollten zugleich
Erzieher seyn; und man wuſste nicht zu begrei-
fen, wie man gelehrt seyn und doch keine
Sitten haben könnte. Fest glaubte man an das
goldene Sprichwort: daſs Künste und Sitten
Schwestern und Brüder sind, und Niemand
dachte daran zu untersuchen, ob Künste und
Sitten sich wie Ursache und Wirkung ver-
hielten.
Rechnet man zu diesen Mängeln den Um-
O 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/223>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.