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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

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dem verführerischen Worte Rechenschaft ab-
fordern -- giebt es Schamhaftigkeit? -- und
was gilt sie einseitig? -- Die Schamhaftigkeit
ist eine Tugend, die, wenn ich so sagen darf,
in der Ehe lebt; wenn sie nicht von Männern
und Weibern zugleich geübt wird, so artet sie
in Ziererei und weibliche Taschenspielerkünste
aus -- Und wie? ist den Reinen nicht alles
rein? Eine Ehefrau kleidet eine edle Frei-
müthigkeit, ein unverstelltes Wesen, unend-
lich besser, als jene klösterliche Heuchelei.
Mit ungewaschenen Händen essen, verunrei-
nigt den Menschen nicht; und der Tugend
sich mit seinem Munde nahen, sie mit seinen
Lippen ehren und das Herz von ihr entfer-
nen -- ist das nicht ein Greuel?

Macht man indess mehr auf einen reinen
Mund Anspruch, als auf ein reines Herz, so
hat die Gesetzstelle gewonnen Spiel, welche
(L. I. § 5. D. de postulando) behauptet, dass
man die weibliche Schamhaftigkeit in Laby-
rinthe der Versuchung führen würde, wenn
es dem schönen Geschlecht erlaubt werden
sollte, sich in Rechtsangelegenheiten zu mi-

dem verführerischen Worte Rechenschaft ab-
fordern — giebt es Schamhaftigkeit? — und
was gilt sie einseitig? — Die Schamhaftigkeit
ist eine Tugend, die, wenn ich so sagen darf,
in der Ehe lebt; wenn sie nicht von Männern
und Weibern zugleich geübt wird, so artet sie
in Ziererei und weibliche Taschenspielerkünste
aus — Und wie? ist den Reinen nicht alles
rein? Eine Ehefrau kleidet eine edle Frei-
müthigkeit, ein unverstelltes Wesen, unend-
lich besser, als jene klösterliche Heuchelei.
Mit ungewaschenen Händen essen, verunrei-
nigt den Menschen nicht; und der Tugend
sich mit seinem Munde nahen, sie mit seinen
Lippen ehren und das Herz von ihr entfer-
nen — ist das nicht ein Greuel?

Macht man indeſs mehr auf einen reinen
Mund Anspruch, als auf ein reines Herz, so
hat die Gesetzstelle gewonnen Spiel, welche
(L. I. § 5. D. de postulando) behauptet, daſs
man die weibliche Schamhaftigkeit in Laby-
rinthe der Versuchung führen würde, wenn
es dem schönen Geschlecht erlaubt werden
sollte, sich in Rechtsangelegenheiten zu mi-

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[156/0164] dem verführerischen Worte Rechenschaft ab- fordern — giebt es Schamhaftigkeit? — und was gilt sie einseitig? — Die Schamhaftigkeit ist eine Tugend, die, wenn ich so sagen darf, in der Ehe lebt; wenn sie nicht von Männern und Weibern zugleich geübt wird, so artet sie in Ziererei und weibliche Taschenspielerkünste aus — Und wie? ist den Reinen nicht alles rein? Eine Ehefrau kleidet eine edle Frei- müthigkeit, ein unverstelltes Wesen, unend- lich besser, als jene klösterliche Heuchelei. Mit ungewaschenen Händen essen, verunrei- nigt den Menschen nicht; und der Tugend sich mit seinem Munde nahen, sie mit seinen Lippen ehren und das Herz von ihr entfer- nen — ist das nicht ein Greuel? Macht man indeſs mehr auf einen reinen Mund Anspruch, als auf ein reines Herz, so hat die Gesetzstelle gewonnen Spiel, welche (L. I. § 5. D. de postulando) behauptet, daſs man die weibliche Schamhaftigkeit in Laby- rinthe der Versuchung führen würde, wenn es dem schönen Geschlecht erlaubt werden sollte, sich in Rechtsangelegenheiten zu mi-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/164>, abgerufen am 28.04.2024.