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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Nun ruhen alle Wälder von Paul Ger-
hard
. Nun wachen alle Wälder von Feustel
und Riedner, die beyde in Maskopie die
Wälder aufgeweckt -- Zur Unzeit wie ge-
wöhnlich! Sie hätten sie ruhen lassen können!
Seinen Freunden giebt ers im Schlafe! Gott
läßt uns sinken, aber nicht ertrinken. Wenn
der Klügste beichten sollte, was er in seinem
Leben für Einfälle und Ausfälle gehabt, wäre
er des Irhauses schuldig! Grüne Ostern,
weiße Pfingsten. Viel können zwar zusam-
men singen, aber nicht zusammen reden. Der
Gesang ist gesellig, die Prose ist Leutschen,
einsiedlerisch, tückisch -- bey allem dem ernst-
haft. Träume! ihr sollet nichts seyn? und
wenn die Ursache vom Zukünftigen schon in
mir liegt, auch dann nichts; wenn das See-
lenauge schon sieht, was das Körperauge
noch nicht zu sehen im Stand' ist? Die Ka-
lendermacher machen den Kalender; der liebe
Gott das Wetter! Steck' ein Licht an, wenn
die Sonne scheint! Kannst du das Licht sehen?
Greif auf der Laute, wenn die Glocken rönen.
Kannst du hören? Wenns gut schmeckt, ver-
daut man auch gut! Jede Empfindung, die
das Leben unterbricht, ist Schmerz; die Leben
ins Leben bringt, ist Freude! der Tod ist Be-

förde

Nun ruhen alle Waͤlder von Paul Ger-
hard
. Nun wachen alle Waͤlder von Feuſtel
und Riedner, die beyde in Maſkopie die
Waͤlder aufgeweckt — Zur Unzeit wie ge-
woͤhnlich! Sie haͤtten ſie ruhen laſſen koͤnnen!
Seinen Freunden giebt ers im Schlafe! Gott
laͤßt uns ſinken, aber nicht ertrinken. Wenn
der Kluͤgſte beichten ſollte, was er in ſeinem
Leben fuͤr Einfaͤlle und Ausfaͤlle gehabt, waͤre
er des Irhauſes ſchuldig! Gruͤne Oſtern,
weiße Pfingſten. Viel koͤnnen zwar zuſam-
men ſingen, aber nicht zuſammen reden. Der
Geſang iſt geſellig, die Proſe iſt Leutſchen,
einſiedleriſch, tuͤckiſch — bey allem dem ernſt-
haft. Traͤume! ihr ſollet nichts ſeyn? und
wenn die Urſache vom Zukuͤnftigen ſchon in
mir liegt, auch dann nichts; wenn das See-
lenauge ſchon ſieht, was das Koͤrperauge
noch nicht zu ſehen im Stand’ iſt? Die Ka-
lendermacher machen den Kalender; der liebe
Gott das Wetter! Steck’ ein Licht an, wenn
die Sonne ſcheint! Kannſt du das Licht ſehen?
Greif auf der Laute, wenn die Glocken roͤnen.
Kannſt du hoͤren? Wenns gut ſchmeckt, ver-
daut man auch gut! Jede Empfindung, die
das Leben unterbricht, iſt Schmerz; die Leben
ins Leben bringt, iſt Freude! der Tod iſt Be-

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[93/0099] Nun ruhen alle Waͤlder von Paul Ger- hard. Nun wachen alle Waͤlder von Feuſtel und Riedner, die beyde in Maſkopie die Waͤlder aufgeweckt — Zur Unzeit wie ge- woͤhnlich! Sie haͤtten ſie ruhen laſſen koͤnnen! Seinen Freunden giebt ers im Schlafe! Gott laͤßt uns ſinken, aber nicht ertrinken. Wenn der Kluͤgſte beichten ſollte, was er in ſeinem Leben fuͤr Einfaͤlle und Ausfaͤlle gehabt, waͤre er des Irhauſes ſchuldig! Gruͤne Oſtern, weiße Pfingſten. Viel koͤnnen zwar zuſam- men ſingen, aber nicht zuſammen reden. Der Geſang iſt geſellig, die Proſe iſt Leutſchen, einſiedleriſch, tuͤckiſch — bey allem dem ernſt- haft. Traͤume! ihr ſollet nichts ſeyn? und wenn die Urſache vom Zukuͤnftigen ſchon in mir liegt, auch dann nichts; wenn das See- lenauge ſchon ſieht, was das Koͤrperauge noch nicht zu ſehen im Stand’ iſt? Die Ka- lendermacher machen den Kalender; der liebe Gott das Wetter! Steck’ ein Licht an, wenn die Sonne ſcheint! Kannſt du das Licht ſehen? Greif auf der Laute, wenn die Glocken roͤnen. Kannſt du hoͤren? Wenns gut ſchmeckt, ver- daut man auch gut! Jede Empfindung, die das Leben unterbricht, iſt Schmerz; die Leben ins Leben bringt, iſt Freude! der Tod iſt Be- foͤrde

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/99>, abgerufen am 21.11.2024.