Klingeln hab ich nie gehört. Die hochgelahr- te Frau v -- b -- hatte so wenig Herz herein zu gehen, daß sie mich bat, ich möchte hören, was sie wollte; und da ich vorgieng, hielt sie mich zurück, weil sie nicht bleiben, nicht gehen wollte. Da eben giengen die Glocken unserer Kirche, und der Sturm, der noch nicht nach- ließ, brachte sie uns so nahe, daß sie uns recht ins Ohr schrien: Bedenke, Mensch, das Ende! Es war eben ein blühendes junges Mädchen, die nur seit drey Tagen krank ge- wesen, verschieden. Gott habe sie selig! Die Frau v -- b -- that, ehe wir noch zu der Se- ligen giengen, eben so feyerlich, als ihre Be- schwörung war, Verzicht auf die Erscheinung der Prophetin, als eines von den Todten, und da wir voll von diesem Verzicht zur Seligen kamen; so hab ich nie erfahren, wie die Con- ferenz abgelaufen, und wie sie sich mit dem Schutzgeist berathen? Gern wüßt' ich es jetzo. Zu der Zeit hätt' ich es nicht tragen können. Das bin ich überzeugt, hätte sie versprochen, sie wäre gewiß gekommen, und wenn sie vom lieben Gott selbst Urlaub bitten sollen! -- Es wäre ja ohnedem nicht auf lange gewesen! Rechter Hand ins weisse Cabinet. Jam- mer und Schade! --
Die
F 2
Klingeln hab ich nie gehoͤrt. Die hochgelahr- te Frau v — b — hatte ſo wenig Herz herein zu gehen, daß ſie mich bat, ich moͤchte hoͤren, was ſie wollte; und da ich vorgieng, hielt ſie mich zuruͤck, weil ſie nicht bleiben, nicht gehen wollte. Da eben giengen die Glocken unſerer Kirche, und der Sturm, der noch nicht nach- ließ, brachte ſie uns ſo nahe, daß ſie uns recht ins Ohr ſchrien: Bedenke, Menſch, das Ende! Es war eben ein bluͤhendes junges Maͤdchen, die nur ſeit drey Tagen krank ge- weſen, verſchieden. Gott habe ſie ſelig! Die Frau v — b — that, ehe wir noch zu der Se- ligen giengen, eben ſo feyerlich, als ihre Be- ſchwoͤrung war, Verzicht auf die Erſcheinung der Prophetin, als eines von den Todten, und da wir voll von dieſem Verzicht zur Seligen kamen; ſo hab ich nie erfahren, wie die Con- ferenz abgelaufen, und wie ſie ſich mit dem Schutzgeiſt berathen? Gern wuͤßt’ ich es jetzo. Zu der Zeit haͤtt’ ich es nicht tragen koͤnnen. Das bin ich uͤberzeugt, haͤtte ſie verſprochen, ſie waͤre gewiß gekommen, und wenn ſie vom lieben Gott ſelbſt Urlaub bitten ſollen! — Es waͤre ja ohnedem nicht auf lange geweſen! Rechter Hand ins weiſſe Cabinet. Jam- mer und Schade! —
Die
F 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0089"n="83"/>
Klingeln hab ich nie gehoͤrt. Die hochgelahr-<lb/>
te Frau v — b — hatte ſo wenig Herz herein<lb/>
zu gehen, daß ſie mich bat, ich moͤchte hoͤren,<lb/>
was ſie wollte; und da ich vorgieng, hielt ſie<lb/>
mich zuruͤck, weil ſie nicht bleiben, nicht gehen<lb/>
wollte. Da eben giengen die Glocken unſerer<lb/>
Kirche, und der Sturm, der noch nicht nach-<lb/>
ließ, brachte ſie uns ſo nahe, daß ſie uns recht<lb/>
ins Ohr ſchrien: <hirendition="#fr">Bedenke, Menſch, das<lb/>
Ende!</hi> Es war eben ein bluͤhendes junges<lb/>
Maͤdchen, die nur ſeit drey Tagen krank ge-<lb/>
weſen, verſchieden. Gott habe ſie ſelig! Die<lb/>
Frau v — b — that, ehe wir noch zu der Se-<lb/>
ligen giengen, eben ſo feyerlich, als ihre Be-<lb/>ſchwoͤrung war, Verzicht auf die Erſcheinung<lb/>
der Prophetin, als eines von den Todten, und<lb/>
da wir voll von dieſem Verzicht zur Seligen<lb/>
kamen; ſo hab ich nie erfahren, wie die Con-<lb/>
ferenz abgelaufen, und wie ſie ſich mit dem<lb/>
Schutzgeiſt berathen? Gern wuͤßt’ ich es jetzo.<lb/>
Zu der Zeit haͤtt’ ich es nicht tragen koͤnnen.<lb/>
Das bin ich uͤberzeugt, haͤtte ſie verſprochen,<lb/>ſie waͤre gewiß gekommen, und wenn ſie vom<lb/>
lieben Gott ſelbſt Urlaub bitten ſollen! — Es<lb/>
waͤre ja ohnedem nicht auf lange geweſen!<lb/><hirendition="#fr">Rechter Hand ins weiſſe Cabinet.</hi> Jam-<lb/>
mer und Schade! —</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Die</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[83/0089]
Klingeln hab ich nie gehoͤrt. Die hochgelahr-
te Frau v — b — hatte ſo wenig Herz herein
zu gehen, daß ſie mich bat, ich moͤchte hoͤren,
was ſie wollte; und da ich vorgieng, hielt ſie
mich zuruͤck, weil ſie nicht bleiben, nicht gehen
wollte. Da eben giengen die Glocken unſerer
Kirche, und der Sturm, der noch nicht nach-
ließ, brachte ſie uns ſo nahe, daß ſie uns recht
ins Ohr ſchrien: Bedenke, Menſch, das
Ende! Es war eben ein bluͤhendes junges
Maͤdchen, die nur ſeit drey Tagen krank ge-
weſen, verſchieden. Gott habe ſie ſelig! Die
Frau v — b — that, ehe wir noch zu der Se-
ligen giengen, eben ſo feyerlich, als ihre Be-
ſchwoͤrung war, Verzicht auf die Erſcheinung
der Prophetin, als eines von den Todten, und
da wir voll von dieſem Verzicht zur Seligen
kamen; ſo hab ich nie erfahren, wie die Con-
ferenz abgelaufen, und wie ſie ſich mit dem
Schutzgeiſt berathen? Gern wuͤßt’ ich es jetzo.
Zu der Zeit haͤtt’ ich es nicht tragen koͤnnen.
Das bin ich uͤberzeugt, haͤtte ſie verſprochen,
ſie waͤre gewiß gekommen, und wenn ſie vom
lieben Gott ſelbſt Urlaub bitten ſollen! — Es
waͤre ja ohnedem nicht auf lange geweſen!
Rechter Hand ins weiſſe Cabinet. Jam-
mer und Schade! —
Die
F 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/89>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.