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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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von der Existenz der Seele nach dem Tode sol-
che Hirngespinste zur Welt gebracht, daß es
ihr besser gewesen wäre, wenn sie Kinder ge-
habt hätte, wenn sie ihr gleich nicht gerathen
wären. Hirngespinste sind oft schädlicher, als
ungerathene Kinder. Hiezu kam, daß sie kei-
nem diese Meynungen mittheilte, sondern al-
les mit sich selbst berichtigte. Sie hatte eine
grobe Stimme, sonst aber war sie fein; aus-
genommen Nase und Augen, die ungewöhn-
lich groß waren -- und doch war etwas Fräu-
liches in beyden Stücken. Daß sie nicht zu
unserm Kirchspiel gehörte, muß ich noch be-
merken. Der Prediger, der ihr angewiesener
Seelenhirte war, schien keine Seelenweide zu
verstehen, am wenigsten die Gabe zu haben,
Scrupel zu heben, und alles wieder auf gut
Weideland zu treiben. Diese Fr. v -- hatte für
meinen Vater viel Achtung gehabt; obgleich er
durch das zehnjährige Interregnum von der
für ihn gefaßten guten Meynung viel verlohr.
Wo sie nur von einem Zeichen hörte, erschien
sie, und immer im Amazonenhabit. Sie war
eine gebohrne Amazonin. An Schwedenborg,
den Geisterseher, hat sie öfters Briefe erlaßen,
auch an einige -- -- Jezt hörte sie vom be-
nachbarten Phoenomen. Liebe Frau Pa-

storin!

von der Exiſtenz der Seele nach dem Tode ſol-
che Hirngeſpinſte zur Welt gebracht, daß es
ihr beſſer geweſen waͤre, wenn ſie Kinder ge-
habt haͤtte, wenn ſie ihr gleich nicht gerathen
waͤren. Hirngeſpinſte ſind oft ſchaͤdlicher, als
ungerathene Kinder. Hiezu kam, daß ſie kei-
nem dieſe Meynungen mittheilte, ſondern al-
les mit ſich ſelbſt berichtigte. Sie hatte eine
grobe Stimme, ſonſt aber war ſie fein; aus-
genommen Naſe und Augen, die ungewoͤhn-
lich groß waren — und doch war etwas Fraͤu-
liches in beyden Stuͤcken. Daß ſie nicht zu
unſerm Kirchſpiel gehoͤrte, muß ich noch be-
merken. Der Prediger, der ihr angewieſener
Seelenhirte war, ſchien keine Seelenweide zu
verſtehen, am wenigſten die Gabe zu haben,
Scrupel zu heben, und alles wieder auf gut
Weideland zu treiben. Dieſe Fr. v — hatte fuͤr
meinen Vater viel Achtung gehabt; obgleich er
durch das zehnjaͤhrige Interregnum von der
fuͤr ihn gefaßten guten Meynung viel verlohr.
Wo ſie nur von einem Zeichen hoͤrte, erſchien
ſie, und immer im Amazonenhabit. Sie war
eine gebohrne Amazonin. An Schwedenborg,
den Geiſterſeher, hat ſie oͤfters Briefe erlaßen,
auch an einige — — Jezt hoͤrte ſie vom be-
nachbarten Phoenomen. Liebe Frau Pa-

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[77/0083] von der Exiſtenz der Seele nach dem Tode ſol- che Hirngeſpinſte zur Welt gebracht, daß es ihr beſſer geweſen waͤre, wenn ſie Kinder ge- habt haͤtte, wenn ſie ihr gleich nicht gerathen waͤren. Hirngeſpinſte ſind oft ſchaͤdlicher, als ungerathene Kinder. Hiezu kam, daß ſie kei- nem dieſe Meynungen mittheilte, ſondern al- les mit ſich ſelbſt berichtigte. Sie hatte eine grobe Stimme, ſonſt aber war ſie fein; aus- genommen Naſe und Augen, die ungewoͤhn- lich groß waren — und doch war etwas Fraͤu- liches in beyden Stuͤcken. Daß ſie nicht zu unſerm Kirchſpiel gehoͤrte, muß ich noch be- merken. Der Prediger, der ihr angewieſener Seelenhirte war, ſchien keine Seelenweide zu verſtehen, am wenigſten die Gabe zu haben, Scrupel zu heben, und alles wieder auf gut Weideland zu treiben. Dieſe Fr. v — hatte fuͤr meinen Vater viel Achtung gehabt; obgleich er durch das zehnjaͤhrige Interregnum von der fuͤr ihn gefaßten guten Meynung viel verlohr. Wo ſie nur von einem Zeichen hoͤrte, erſchien ſie, und immer im Amazonenhabit. Sie war eine gebohrne Amazonin. An Schwedenborg, den Geiſterſeher, hat ſie oͤfters Briefe erlaßen, auch an einige — — Jezt hoͤrte ſie vom be- nachbarten Phoenomen. Liebe Frau Pa- ſtorin!

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/83>, abgerufen am 24.11.2024.