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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Kindlich große Mutter! du schlecht und
rechtes Weib! selig bist du, selig, dreymahl
selig ist dein Kind, das Christus unter seine
Jünger zum Muster stellte. Jesus rief ein
Kind, und stellte es mitten unter sie und sprach:
Wahrlich ich sage euch, es sey denn, daß ihr
umkehret und werdet wie die Kinder, so wer-
det ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Wer sich nun selbst erniedriget, wie dies Kind,
der ist der größte im Himmelreich! Selig ist,
der ein Kind wird, um dieses Kinderfreundes
willen!

Gern hätt' ich meinen Lesern ein Engelge-
spräch meiner Mutter mitgetheilt, welches
wir andere Leute ein Selbstgespräch zu nen-
nen gewohnt sind, das auf dem Theater ein
Staatsfehler ist -- indessen besprach sie sich
mit ihrem Schutzengel in der Stille. Unsere
Seele kennen wir nicht, und wollen die Engel-
natur begründen? sagte ein Schriftgelehrter
in der Gegend. Wir wissen in unserm eignen
Hause nicht, wer Koch und Kellner ist, und
wollen alle Einwohner jener Sterne zu Ge-
vattern bitten? Allein meine Mutter wider-
legte ihn nicht. Oft brach sie, schreibt die
Pastorwittwe, mitten drein ab: was ich weiß,
das weiß ich, und gab nicht undeutlich zu ver-

stehen,

Kindlich große Mutter! du ſchlecht und
rechtes Weib! ſelig biſt du, ſelig, dreymahl
ſelig iſt dein Kind, das Chriſtus unter ſeine
Juͤnger zum Muſter ſtellte. Jeſus rief ein
Kind, und ſtellte es mitten unter ſie und ſprach:
Wahrlich ich ſage euch, es ſey denn, daß ihr
umkehret und werdet wie die Kinder, ſo wer-
det ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Wer ſich nun ſelbſt erniedriget, wie dies Kind,
der iſt der groͤßte im Himmelreich! Selig iſt,
der ein Kind wird, um dieſes Kinderfreundes
willen!

Gern haͤtt’ ich meinen Leſern ein Engelge-
ſpraͤch meiner Mutter mitgetheilt, welches
wir andere Leute ein Selbſtgeſpraͤch zu nen-
nen gewohnt ſind, das auf dem Theater ein
Staatsfehler iſt — indeſſen beſprach ſie ſich
mit ihrem Schutzengel in der Stille. Unſere
Seele kennen wir nicht, und wollen die Engel-
natur begruͤnden? ſagte ein Schriftgelehrter
in der Gegend. Wir wiſſen in unſerm eignen
Hauſe nicht, wer Koch und Kellner iſt, und
wollen alle Einwohner jener Sterne zu Ge-
vattern bitten? Allein meine Mutter wider-
legte ihn nicht. Oft brach ſie, ſchreibt die
Paſtorwittwe, mitten drein ab: was ich weiß,
das weiß ich, und gab nicht undeutlich zu ver-

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[75/0081] Kindlich große Mutter! du ſchlecht und rechtes Weib! ſelig biſt du, ſelig, dreymahl ſelig iſt dein Kind, das Chriſtus unter ſeine Juͤnger zum Muſter ſtellte. Jeſus rief ein Kind, und ſtellte es mitten unter ſie und ſprach: Wahrlich ich ſage euch, es ſey denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, ſo wer- det ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer ſich nun ſelbſt erniedriget, wie dies Kind, der iſt der groͤßte im Himmelreich! Selig iſt, der ein Kind wird, um dieſes Kinderfreundes willen! Gern haͤtt’ ich meinen Leſern ein Engelge- ſpraͤch meiner Mutter mitgetheilt, welches wir andere Leute ein Selbſtgeſpraͤch zu nen- nen gewohnt ſind, das auf dem Theater ein Staatsfehler iſt — indeſſen beſprach ſie ſich mit ihrem Schutzengel in der Stille. Unſere Seele kennen wir nicht, und wollen die Engel- natur begruͤnden? ſagte ein Schriftgelehrter in der Gegend. Wir wiſſen in unſerm eignen Hauſe nicht, wer Koch und Kellner iſt, und wollen alle Einwohner jener Sterne zu Ge- vattern bitten? Allein meine Mutter wider- legte ihn nicht. Oft brach ſie, ſchreibt die Paſtorwittwe, mitten drein ab: was ich weiß, das weiß ich, und gab nicht undeutlich zu ver- ſtehen,

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/81>, abgerufen am 07.05.2024.