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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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durstete, dir nichts gegeben ward, als Eßig
und Galle! so fällt mir der Spruch ein:
was ihr gethan habt einem meiner geringsten
Brüder, das habt ihr mir gethan! --

Geburt, sagte mein Vater, klebt an bis
ins Grab! Wahrlich! er hatte Recht! Die
wahre Religion ist die, in der man gebohren
und erzogen ist. Erziehung ist ein Stück von
Geburt! Seelengeburt! Seht selbst Ge-
lehrte! wenn sie von schlechten Herkommen
sind, wie sie sich nach ihres Geburtsgleichen
sehnen! -- Sie finden, daß der gemeine
Mann eben so klug ist, wie der Hofmann,
nur daß ihm der Ausdruck fehlt, zu dem ihn
doch zuweilen ein Gläschen übern Durst
bringt, und dann ist dieser Ausdruck immer
treffender und wärmer, als der Ausdruck des
Hofpapagayen. Gelehrte von geringer Ab-
kunft wollen nicht Engelaffen, sondern Men-
schen seyn. Thun sie ja, als wüßten sie
auch, wie es bey Hofe zugeht; so stehts ih-
nen gewaltig übel! -- Selten ist Geschmack
in ihrer Kleidung, am wenigsten bey Perüke
und Schuen. Ein Schweinbraten kommt
bey einer wirklichen Hofschüssel zu stehen! --
Etwas wohlfeiles in ihrem Ausdruck, und

dann
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durſtete, dir nichts gegeben ward, als Eßig
und Galle! ſo faͤllt mir der Spruch ein:
was ihr gethan habt einem meiner geringſten
Bruͤder, das habt ihr mir gethan! —

Geburt, ſagte mein Vater, klebt an bis
ins Grab! Wahrlich! er hatte Recht! Die
wahre Religion iſt die, in der man gebohren
und erzogen iſt. Erziehung iſt ein Stuͤck von
Geburt! Seelengeburt! Seht ſelbſt Ge-
lehrte! wenn ſie von ſchlechten Herkommen
ſind, wie ſie ſich nach ihres Geburtsgleichen
ſehnen! — Sie finden, daß der gemeine
Mann eben ſo klug iſt, wie der Hofmann,
nur daß ihm der Ausdruck fehlt, zu dem ihn
doch zuweilen ein Glaͤschen uͤbern Durſt
bringt, und dann iſt dieſer Ausdruck immer
treffender und waͤrmer, als der Ausdruck des
Hofpapagayen. Gelehrte von geringer Ab-
kunft wollen nicht Engelaffen, ſondern Men-
ſchen ſeyn. Thun ſie ja, als wuͤßten ſie
auch, wie es bey Hofe zugeht; ſo ſtehts ih-
nen gewaltig uͤbel! — Selten iſt Geſchmack
in ihrer Kleidung, am wenigſten bey Peruͤke
und Schuen. Ein Schweinbraten kommt
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Etwas wohlfeiles in ihrem Ausdruck, und

dann
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[633/0641] durſtete, dir nichts gegeben ward, als Eßig und Galle! ſo faͤllt mir der Spruch ein: was ihr gethan habt einem meiner geringſten Bruͤder, das habt ihr mir gethan! — Geburt, ſagte mein Vater, klebt an bis ins Grab! Wahrlich! er hatte Recht! Die wahre Religion iſt die, in der man gebohren und erzogen iſt. Erziehung iſt ein Stuͤck von Geburt! Seelengeburt! Seht ſelbſt Ge- lehrte! wenn ſie von ſchlechten Herkommen ſind, wie ſie ſich nach ihres Geburtsgleichen ſehnen! — Sie finden, daß der gemeine Mann eben ſo klug iſt, wie der Hofmann, nur daß ihm der Ausdruck fehlt, zu dem ihn doch zuweilen ein Glaͤschen uͤbern Durſt bringt, und dann iſt dieſer Ausdruck immer treffender und waͤrmer, als der Ausdruck des Hofpapagayen. Gelehrte von geringer Ab- kunft wollen nicht Engelaffen, ſondern Men- ſchen ſeyn. Thun ſie ja, als wuͤßten ſie auch, wie es bey Hofe zugeht; ſo ſtehts ih- nen gewaltig uͤbel! — Selten iſt Geſchmack in ihrer Kleidung, am wenigſten bey Peruͤke und Schuen. Ein Schweinbraten kommt bey einer wirklichen Hofſchuͤſſel zu ſtehen! — Etwas wohlfeiles in ihrem Ausdruck, und dann R r 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 633. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/641>, abgerufen am 23.11.2024.