Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

die Wurzel des Thieres; das Gehirn die
Wurzel der Seele!

Zu orthodox? Er war freylich den
Grundsätzen seiner Kirche treu; allein wahr-
lich! er würde den kindlichen Communions-
hunger des Johann Jacob Roußeau, wel-
cher auch in meinem Buche Todes verblichen,
gestillt haben! -- Meine Mutter, die eine
Schutzpatronin der leidigen Erbsünde war,
hätt ihn zwar ohn Gnad und Barmherzigkeit
vom Tisch des Herrn gewiesen und wider sei-
nen Zutritt in bester Rechtsform protestirt;
allein mein Vater nicht. Wahrlich! wahr-
lich! ich sag es euch, er hätt' ihm diesen Tisch
gedeckt, und einem so hungrigen und dursti-
gen Manne das Brod gebrochen und diesen
Kelch gegeben. Ihm, der Brüder und
Schwestern suchte, und so viel Seelenmord-
brenner und Gewissensvergifter fand, daß
er zuletzt meinem vierschrötigen Freunde
Hume nichts Gutes ansah, und ein solch
wunderlicher Seelen und Leibes Phyfiogno-
mist ward, daß sich Gott erbarm! Nie kann
ich es vergessen, was mein Vater, der mit
dem Apostel Johann Jacob nur nach mei-
ner Zeit näher bekannt worden, meiner Mut-
ter (aus dem Einhornschen Geschlecht) bey

Gele-
R r 4

die Wurzel des Thieres; das Gehirn die
Wurzel der Seele!

Zu orthodox? Er war freylich den
Grundſaͤtzen ſeiner Kirche treu; allein wahr-
lich! er wuͤrde den kindlichen Communions-
hunger des Johann Jacob Roußeau, wel-
cher auch in meinem Buche Todes verblichen,
geſtillt haben! — Meine Mutter, die eine
Schutzpatronin der leidigen Erbſuͤnde war,
haͤtt ihn zwar ohn Gnad und Barmherzigkeit
vom Tiſch des Herrn gewieſen und wider ſei-
nen Zutritt in beſter Rechtsform proteſtirt;
allein mein Vater nicht. Wahrlich! wahr-
lich! ich ſag es euch, er haͤtt’ ihm dieſen Tiſch
gedeckt, und einem ſo hungrigen und durſti-
gen Manne das Brod gebrochen und dieſen
Kelch gegeben. Ihm, der Bruͤder und
Schweſtern ſuchte, und ſo viel Seelenmord-
brenner und Gewiſſensvergifter fand, daß
er zuletzt meinem vierſchroͤtigen Freunde
Hume nichts Gutes anſah, und ein ſolch
wunderlicher Seelen und Leibes Phyfiogno-
miſt ward, daß ſich Gott erbarm! Nie kann
ich es vergeſſen, was mein Vater, der mit
dem Apoſtel Johann Jacob nur nach mei-
ner Zeit naͤher bekannt worden, meiner Mut-
ter (aus dem Einhornſchen Geſchlecht) bey

Gele-
R r 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0639" n="631"/>
die Wurzel des Thieres; das Gehirn die<lb/>
Wurzel der Seele!</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Zu orthodox?</hi></hi> Er war freylich den<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tzen &#x017F;einer Kirche treu; allein wahr-<lb/>
lich! er wu&#x0364;rde den kindlichen Communions-<lb/>
hunger des Johann Jacob Roußeau, wel-<lb/>
cher auch in meinem Buche Todes verblichen,<lb/>
ge&#x017F;tillt haben! &#x2014; Meine Mutter, die eine<lb/>
Schutzpatronin der leidigen Erb&#x017F;u&#x0364;nde war,<lb/>
ha&#x0364;tt ihn zwar ohn Gnad und Barmherzigkeit<lb/>
vom Ti&#x017F;ch des Herrn gewie&#x017F;en und wider &#x017F;ei-<lb/>
nen Zutritt in be&#x017F;ter Rechtsform prote&#x017F;tirt;<lb/>
allein mein Vater nicht. Wahrlich! wahr-<lb/>
lich! ich &#x017F;ag es euch, er ha&#x0364;tt&#x2019; ihm die&#x017F;en Ti&#x017F;ch<lb/>
gedeckt, und einem &#x017F;o hungrigen und dur&#x017F;ti-<lb/>
gen Manne das Brod gebrochen und die&#x017F;en<lb/>
Kelch gegeben. Ihm, der Bru&#x0364;der und<lb/>
Schwe&#x017F;tern &#x017F;uchte, und &#x017F;o viel Seelenmord-<lb/>
brenner und Gewi&#x017F;&#x017F;ensvergifter fand, daß<lb/>
er zuletzt meinem vier&#x017F;chro&#x0364;tigen Freunde<lb/><hi rendition="#fr">Hume</hi> nichts Gutes an&#x017F;ah, und ein &#x017F;olch<lb/>
wunderlicher Seelen und Leibes Phyfiogno-<lb/>
mi&#x017F;t ward, daß &#x017F;ich Gott erbarm! Nie kann<lb/>
ich es verge&#x017F;&#x017F;en, was mein Vater, der mit<lb/>
dem Apo&#x017F;tel <hi rendition="#fr">Johann Jacob</hi> nur nach mei-<lb/>
ner Zeit na&#x0364;her bekannt worden, meiner Mut-<lb/>
ter (aus dem Einhorn&#x017F;chen Ge&#x017F;chlecht) bey<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R r 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Gele-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[631/0639] die Wurzel des Thieres; das Gehirn die Wurzel der Seele! Zu orthodox? Er war freylich den Grundſaͤtzen ſeiner Kirche treu; allein wahr- lich! er wuͤrde den kindlichen Communions- hunger des Johann Jacob Roußeau, wel- cher auch in meinem Buche Todes verblichen, geſtillt haben! — Meine Mutter, die eine Schutzpatronin der leidigen Erbſuͤnde war, haͤtt ihn zwar ohn Gnad und Barmherzigkeit vom Tiſch des Herrn gewieſen und wider ſei- nen Zutritt in beſter Rechtsform proteſtirt; allein mein Vater nicht. Wahrlich! wahr- lich! ich ſag es euch, er haͤtt’ ihm dieſen Tiſch gedeckt, und einem ſo hungrigen und durſti- gen Manne das Brod gebrochen und dieſen Kelch gegeben. Ihm, der Bruͤder und Schweſtern ſuchte, und ſo viel Seelenmord- brenner und Gewiſſensvergifter fand, daß er zuletzt meinem vierſchroͤtigen Freunde Hume nichts Gutes anſah, und ein ſolch wunderlicher Seelen und Leibes Phyfiogno- miſt ward, daß ſich Gott erbarm! Nie kann ich es vergeſſen, was mein Vater, der mit dem Apoſtel Johann Jacob nur nach mei- ner Zeit naͤher bekannt worden, meiner Mut- ter (aus dem Einhornſchen Geſchlecht) bey Gele- R r 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/639
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/639>, abgerufen am 18.05.2024.