Entweder die Religion muß alles tingiren, oder es ist gar keine! Ist denn Gott nicht überall? und glaubt ihr Leutbetrüger, Gott sey wie ein Mensch, den ihr mit einem Ge- sichte voll Ergebenheit, wenn gleich das Herz fern von ihm ist, hinters Licht führen könnt? Mit gutem Herzen zu sagen: es ist kein Gott -- aus Tyrus und Sydon seyn, ist bes- ser, als Gott heucheln, wie des Hiobs Freunde! -- --
Wilst du erlauben, lieber Herr a, daß ich dich ganz deutlich ins Gesicht frage: ver- stehst du auch, was du liesest? Wenn meine Mutter nicht eine Originalchristin ist, möcht ich sagen, giebts kein Christenthum!
Biblische Worte und Wendungen? Ist denn die Bibel nicht werth, daß man ihr nachspricht? Fehlt es ihr wo an Lebensart, daß man sie nicht in Gesellschaft nehmen darf? und die wohlgemeynte lutherische Ue- bersetzung, kommt sie nicht von Herzen und geht sie nicht zu Herzen? Wir haben schon anders den Grundtext, und wer steht uns da- für, daß man Luthers Bibelübersetzung in der christlichen hochdeutschen Gemeine nicht verbietet; wird sie aber darum das Kindli- che verlieren? und haben nicht selbst einige
dieser
Entweder die Religion muß alles tingiren, oder es iſt gar keine! Iſt denn Gott nicht uͤberall? und glaubt ihr Leutbetruͤger, Gott ſey wie ein Menſch, den ihr mit einem Ge- ſichte voll Ergebenheit, wenn gleich das Herz fern von ihm iſt, hinters Licht fuͤhren koͤnnt? Mit gutem Herzen zu ſagen: es iſt kein Gott — aus Tyrus und Sydon ſeyn, iſt beſ- ſer, als Gott heucheln, wie des Hiobs Freunde! — —
Wilſt du erlauben, lieber Herr α, daß ich dich ganz deutlich ins Geſicht frage: ver- ſtehſt du auch, was du lieſeſt? Wenn meine Mutter nicht eine Originalchriſtin iſt, moͤcht ich ſagen, giebts kein Chriſtenthum!
Bibliſche Worte und Wendungen? Iſt denn die Bibel nicht werth, daß man ihr nachſpricht? Fehlt es ihr wo an Lebensart, daß man ſie nicht in Geſellſchaft nehmen darf? und die wohlgemeynte lutheriſche Ue- berſetzung, kommt ſie nicht von Herzen und geht ſie nicht zu Herzen? Wir haben ſchon anders den Grundtext, und wer ſteht uns da- fuͤr, daß man Luthers Bibeluͤberſetzung in der chriſtlichen hochdeutſchen Gemeine nicht verbietet; wird ſie aber darum das Kindli- che verlieren? und haben nicht ſelbſt einige
dieſer
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Entweder die Religion muß alles tingiren,
oder es iſt gar keine! Iſt denn Gott nicht
uͤberall? und glaubt ihr Leutbetruͤger, Gott
ſey wie ein Menſch, den ihr mit einem Ge-
ſichte voll Ergebenheit, wenn gleich das Herz
fern von ihm iſt, hinters Licht fuͤhren koͤnnt?
Mit gutem Herzen zu ſagen: es iſt kein
Gott — aus Tyrus und Sydon ſeyn, iſt beſ-
ſer, als Gott heucheln, wie des Hiobs
Freunde! — —
Wilſt du erlauben, lieber Herr α, daß
ich dich ganz deutlich ins Geſicht frage: ver-
ſtehſt du auch, was du lieſeſt? Wenn meine
Mutter nicht eine Originalchriſtin iſt, moͤcht
ich ſagen, giebts kein Chriſtenthum!
Bibliſche Worte und Wendungen?
Iſt denn die Bibel nicht werth, daß man ihr
nachſpricht? Fehlt es ihr wo an Lebensart,
daß man ſie nicht in Geſellſchaft nehmen
darf? und die wohlgemeynte lutheriſche Ue-
berſetzung, kommt ſie nicht von Herzen und
geht ſie nicht zu Herzen? Wir haben ſchon
anders den Grundtext, und wer ſteht uns da-
fuͤr, daß man Luthers Bibeluͤberſetzung in
der chriſtlichen hochdeutſchen Gemeine nicht
verbietet; wird ſie aber darum das Kindli-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/597>, abgerufen am 24.11.2024.
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