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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Ehemann also! der Mann eines
Weibes, das mich liebt, und das ich wie-
der liebe! -- Komm, liebes Weib! Tine!
Mine genannt, komm! -- schreib selbst! --
damit meine Leser wissen, was an dir ist! --

Was soll ich schreiben?

Von der Zeit an, da ich ins Waßer fiel,
bis diesen Augenblick --

Ich liebte meinen Mann von dem Augen-
blick, da die Retts und die Wo's vorfielen,
ohne daß ich wußte, was Liebe sey. Meine
Liebe äusserte sich durch meinen Hang, von
ihm ohne Aufhören zu reden. Alle meine
Kinderfragen auf die Manier wie: Sehen sie
doch, gnädige! wie hoch der Baum ist;
der Babylonische Thurm war wohl weit
höher?
--

Meine liebe Mutter ward nicht müde,
mir Mutterantworten zu geben. Ich weiß
den Tag noch, da ich nicht mehr über ihn
Kinderfragte, und von dieser Zeit an ver-
wandelte er sich in ein Ideal, das mit mir
gieng und kam, und aß und trank, das mich
zuweilen froh machte, wenn ich glaubte, ich
könnte sein werden, und zuweilen betrübte,
wenn es mir einfiel: und wenn dies Ideal
ein ander Ideal hätte? Dies Ideal ver-

drengte

Ehemann alſo! der Mann eines
Weibes, das mich liebt, und das ich wie-
der liebe! — Komm, liebes Weib! Tine!
Mine genannt, komm! — ſchreib ſelbſt! —
damit meine Leſer wiſſen, was an dir iſt! —

Was ſoll ich ſchreiben?

Von der Zeit an, da ich ins Waßer fiel,
bis dieſen Augenblick —

Ich liebte meinen Mann von dem Augen-
blick, da die Retts und die Wo’s vorfielen,
ohne daß ich wußte, was Liebe ſey. Meine
Liebe aͤuſſerte ſich durch meinen Hang, von
ihm ohne Aufhoͤren zu reden. Alle meine
Kinderfragen auf die Manier wie: Sehen ſie
doch, gnaͤdige! wie hoch der Baum iſt;
der Babyloniſche Thurm war wohl weit
hoͤher?

Meine liebe Mutter ward nicht muͤde,
mir Mutterantworten zu geben. Ich weiß
den Tag noch, da ich nicht mehr uͤber ihn
Kinderfragte, und von dieſer Zeit an ver-
wandelte er ſich in ein Ideal, das mit mir
gieng und kam, und aß und trank, das mich
zuweilen froh machte, wenn ich glaubte, ich
koͤnnte ſein werden, und zuweilen betruͤbte,
wenn es mir einfiel: und wenn dies Ideal
ein ander Ideal haͤtte? Dies Ideal ver-

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[542/0552] Ehemann alſo! der Mann eines Weibes, das mich liebt, und das ich wie- der liebe! — Komm, liebes Weib! Tine! Mine genannt, komm! — ſchreib ſelbſt! — damit meine Leſer wiſſen, was an dir iſt! — Was ſoll ich ſchreiben? Von der Zeit an, da ich ins Waßer fiel, bis dieſen Augenblick — Ich liebte meinen Mann von dem Augen- blick, da die Retts und die Wo’s vorfielen, ohne daß ich wußte, was Liebe ſey. Meine Liebe aͤuſſerte ſich durch meinen Hang, von ihm ohne Aufhoͤren zu reden. Alle meine Kinderfragen auf die Manier wie: Sehen ſie doch, gnaͤdige! wie hoch der Baum iſt; der Babyloniſche Thurm war wohl weit hoͤher? — Meine liebe Mutter ward nicht muͤde, mir Mutterantworten zu geben. Ich weiß den Tag noch, da ich nicht mehr uͤber ihn Kinderfragte, und von dieſer Zeit an ver- wandelte er ſich in ein Ideal, das mit mir gieng und kam, und aß und trank, das mich zuweilen froh machte, wenn ich glaubte, ich koͤnnte ſein werden, und zuweilen betruͤbte, wenn es mir einfiel: und wenn dies Ideal ein ander Ideal haͤtte? Dies Ideal ver- drengte

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/552>, abgerufen am 22.05.2024.