Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

man noch die Gränzen seines Seyns kennt?
Der Schein betrügt --

Er stammt von Melchisedech --

Der war ein König und Priester! -- --

Warum diese Ahnentafelunterredung, die
das Alltägliche enthält? Sie hatte indessen
die Folge, die ich meinen Lesern schuldig
bin.

Frau v. W -- nahm mich bey der Hand,
und zwar so, daß diese Art mir Bürge wurde:
es sey wie es sey, sie sind Tinens, und Tine
ist die ihre! -- Sie wußte nicht, wie sie es
recht anfangen solte, und fieng endlich, nach-
dem sie mich lange bey der Hand gehalten,
allein, wie mich dünkt, viel zu ent-
fernt, an: der Schleier der Bescheidenheit
giebt jedem Gesichte, jeder Tugend einen grös-
sern Werth!

Ja, Gnädige! Der Belag ist Tine! --

Da war sie wieder weiter zurück, wie zu-
vor. Sie nahm mich aufs neue bey der
Hand, und ohne daß sie blitzte, mein
Schlag!

Gnädige! Sie wollen was sagen -- fra-
gen! erwiederte sie.

Die Liebe, das einzige, was die Natur
uns noch zurückgelaßen, solte freylich über

alle

man noch die Graͤnzen ſeines Seyns kennt?
Der Schein betruͤgt —

Er ſtammt von Melchiſedech —

Der war ein Koͤnig und Prieſter! — —

Warum dieſe Ahnentafelunterredung, die
das Alltaͤgliche enthaͤlt? Sie hatte indeſſen
die Folge, die ich meinen Leſern ſchuldig
bin.

Frau v. W — nahm mich bey der Hand,
und zwar ſo, daß dieſe Art mir Buͤrge wurde:
es ſey wie es ſey, ſie ſind Tinens, und Tine
iſt die ihre! — Sie wußte nicht, wie ſie es
recht anfangen ſolte, und fieng endlich, nach-
dem ſie mich lange bey der Hand gehalten,
allein, wie mich duͤnkt, viel zu ent-
fernt, an: der Schleier der Beſcheidenheit
giebt jedem Geſichte, jeder Tugend einen groͤſ-
ſern Werth!

Ja, Gnaͤdige! Der Belag iſt Tine! —

Da war ſie wieder weiter zuruͤck, wie zu-
vor. Sie nahm mich aufs neue bey der
Hand, und ohne daß ſie blitzte, mein
Schlag!

Gnaͤdige! Sie wollen was ſagen — fra-
gen! erwiederte ſie.

Die Liebe, das einzige, was die Natur
uns noch zuruͤckgelaßen, ſolte freylich uͤber

alle
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0503" n="493"/>
man noch die Gra&#x0364;nzen &#x017F;eines Seyns kennt?<lb/>
Der Schein betru&#x0364;gt &#x2014;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;tammt von Melchi&#x017F;edech &#x2014;</p><lb/>
        <p>Der war ein Ko&#x0364;nig und Prie&#x017F;ter! &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Warum die&#x017F;e Ahnentafelunterredung, die<lb/>
das Allta&#x0364;gliche entha&#x0364;lt? Sie hatte inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
die Folge, die ich meinen Le&#x017F;ern &#x017F;chuldig<lb/>
bin.</p><lb/>
        <p>Frau v. W &#x2014; nahm mich bey der Hand,<lb/>
und zwar &#x017F;o, daß die&#x017F;e Art mir Bu&#x0364;rge wurde:<lb/>
es &#x017F;ey wie es &#x017F;ey, &#x017F;ie &#x017F;ind Tinens, und Tine<lb/>
i&#x017F;t die ihre! &#x2014; Sie wußte nicht, wie &#x017F;ie es<lb/>
recht anfangen &#x017F;olte, und fieng endlich, nach-<lb/>
dem &#x017F;ie mich lange bey der Hand gehalten,<lb/>
allein, <hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">wie mich du&#x0364;nkt</hi></hi>, viel zu ent-<lb/>
fernt, an: der Schleier der Be&#x017F;cheidenheit<lb/>
giebt jedem Ge&#x017F;ichte, jeder Tugend einen gro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ern Werth!</p><lb/>
        <p>Ja, Gna&#x0364;dige! Der Belag i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Tine</hi>! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Da war &#x017F;ie wieder weiter zuru&#x0364;ck, wie zu-<lb/>
vor. Sie nahm mich aufs neue bey der<lb/>
Hand, und ohne daß &#x017F;ie blitzte, mein<lb/>
Schlag!</p><lb/>
        <p>Gna&#x0364;dige! Sie wollen was &#x017F;agen &#x2014; fra-<lb/>
gen! erwiederte &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p>Die Liebe, das einzige, was die Natur<lb/>
uns noch zuru&#x0364;ckgelaßen, &#x017F;olte freylich u&#x0364;ber<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">alle</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[493/0503] man noch die Graͤnzen ſeines Seyns kennt? Der Schein betruͤgt — Er ſtammt von Melchiſedech — Der war ein Koͤnig und Prieſter! — — Warum dieſe Ahnentafelunterredung, die das Alltaͤgliche enthaͤlt? Sie hatte indeſſen die Folge, die ich meinen Leſern ſchuldig bin. Frau v. W — nahm mich bey der Hand, und zwar ſo, daß dieſe Art mir Buͤrge wurde: es ſey wie es ſey, ſie ſind Tinens, und Tine iſt die ihre! — Sie wußte nicht, wie ſie es recht anfangen ſolte, und fieng endlich, nach- dem ſie mich lange bey der Hand gehalten, allein, wie mich duͤnkt, viel zu ent- fernt, an: der Schleier der Beſcheidenheit giebt jedem Geſichte, jeder Tugend einen groͤſ- ſern Werth! Ja, Gnaͤdige! Der Belag iſt Tine! — Da war ſie wieder weiter zuruͤck, wie zu- vor. Sie nahm mich aufs neue bey der Hand, und ohne daß ſie blitzte, mein Schlag! Gnaͤdige! Sie wollen was ſagen — fra- gen! erwiederte ſie. Die Liebe, das einzige, was die Natur uns noch zuruͤckgelaßen, ſolte freylich uͤber alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/503
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/503>, abgerufen am 25.11.2024.