Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Gott ist die Liebe! Ist es denn Schande
zu lieben? Alles, was nur diesen süßen Na-
men führt und mit ihm in Verbindung ist,
stammt von ihm, ist seines Geschlechts! Gott
ist die Liebe! --

"Jenes korinthische Mädchen zog Stri-
"che um den Schatten ihres schlafenden Lieb-
"habers, in denen sie sein Bild sahe! Ihre
"Einbildung füllte mit einem wohlgerüttel-
"ten und überfliessenden Maas diesen Schat-
"tenumriß aus! -- So gieng es mir mit ih-
"nen, nur daß meine Einbildungskraft auch
"alle die Striche zog" -- Liebe Tine! --

Was man auch immer von Silhouetten
sagen mag! Personen, die man kennt und
liebt, solte man nicht mahlen! Da hat die
Einbildung zu viel Muße! Bey einer Sil-
houette arbeitet sie mit, sie füllt die Striche
aus, bringt Colorit an -- Um unsere Lie-
ben der geehrten Nachwelt zurückzulassen, ist
ein Gemählde nöthig!

Wir waren so eins am Waßer, daß alles
Er und Sie, Sie und Er war. Warum
wir uns nicht dutzten, weis ich bis diesen
Augenblick nicht --

Ihre Mutter?

weiß alles --

Gott-

Gott iſt die Liebe! Iſt es denn Schande
zu lieben? Alles, was nur dieſen ſuͤßen Na-
men fuͤhrt und mit ihm in Verbindung iſt,
ſtammt von ihm, iſt ſeines Geſchlechts! Gott
iſt die Liebe! —

„Jenes korinthiſche Maͤdchen zog Stri-
„che um den Schatten ihres ſchlafenden Lieb-
„habers, in denen ſie ſein Bild ſahe! Ihre
„Einbildung fuͤllte mit einem wohlgeruͤttel-
„ten und uͤberflieſſenden Maas dieſen Schat-
„tenumriß aus! — So gieng es mir mit ih-
„nen, nur daß meine Einbildungskraft auch
„alle die Striche zog“ — Liebe Tine! —

Was man auch immer von Silhouetten
ſagen mag! Perſonen, die man kennt und
liebt, ſolte man nicht mahlen! Da hat die
Einbildung zu viel Muße! Bey einer Sil-
houette arbeitet ſie mit, ſie fuͤllt die Striche
aus, bringt Colorit an — Um unſere Lie-
ben der geehrten Nachwelt zuruͤckzulaſſen, iſt
ein Gemaͤhlde noͤthig!

Wir waren ſo eins am Waßer, daß alles
Er und Sie, Sie und Er war. Warum
wir uns nicht dutzten, weis ich bis dieſen
Augenblick nicht —

Ihre Mutter?

weiß alles —

Gott-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0496" n="486"/>
        <p>Gott i&#x017F;t die Liebe! I&#x017F;t es denn Schande<lb/>
zu lieben? Alles, was nur die&#x017F;en &#x017F;u&#x0364;ßen Na-<lb/>
men fu&#x0364;hrt und mit ihm in Verbindung i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;tammt von ihm, i&#x017F;t &#x017F;eines Ge&#x017F;chlechts! Gott<lb/>
i&#x017F;t die Liebe! &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jenes korinthi&#x017F;che Ma&#x0364;dchen zog Stri-<lb/>
&#x201E;che um den Schatten ihres &#x017F;chlafenden Lieb-<lb/>
&#x201E;habers, in denen &#x017F;ie &#x017F;ein Bild &#x017F;ahe! Ihre<lb/>
&#x201E;Einbildung fu&#x0364;llte mit einem wohlgeru&#x0364;ttel-<lb/>
&#x201E;ten und u&#x0364;berflie&#x017F;&#x017F;enden Maas die&#x017F;en Schat-<lb/>
&#x201E;tenumriß aus! &#x2014; So gieng es mir mit ih-<lb/>
&#x201E;nen, nur daß meine Einbildungskraft auch<lb/>
&#x201E;alle die Striche zog&#x201C; &#x2014; Liebe Tine! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Was man auch immer von Silhouetten<lb/>
&#x017F;agen mag! Per&#x017F;onen, die man kennt und<lb/>
liebt, &#x017F;olte man nicht mahlen! Da hat die<lb/>
Einbildung zu viel Muße! Bey einer Sil-<lb/>
houette arbeitet &#x017F;ie mit, &#x017F;ie fu&#x0364;llt die Striche<lb/>
aus, bringt Colorit an &#x2014; Um un&#x017F;ere Lie-<lb/>
ben der geehrten Nachwelt zuru&#x0364;ckzula&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t<lb/>
ein Gema&#x0364;hlde no&#x0364;thig!</p><lb/>
        <p>Wir waren &#x017F;o eins am Waßer, daß alles<lb/>
Er und Sie, Sie und Er war. Warum<lb/>
wir uns nicht dutzten, weis ich bis die&#x017F;en<lb/>
Augenblick nicht &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ihre Mutter?</p><lb/>
        <p>weiß alles &#x2014;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Gott-</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[486/0496] Gott iſt die Liebe! Iſt es denn Schande zu lieben? Alles, was nur dieſen ſuͤßen Na- men fuͤhrt und mit ihm in Verbindung iſt, ſtammt von ihm, iſt ſeines Geſchlechts! Gott iſt die Liebe! — „Jenes korinthiſche Maͤdchen zog Stri- „che um den Schatten ihres ſchlafenden Lieb- „habers, in denen ſie ſein Bild ſahe! Ihre „Einbildung fuͤllte mit einem wohlgeruͤttel- „ten und uͤberflieſſenden Maas dieſen Schat- „tenumriß aus! — So gieng es mir mit ih- „nen, nur daß meine Einbildungskraft auch „alle die Striche zog“ — Liebe Tine! — Was man auch immer von Silhouetten ſagen mag! Perſonen, die man kennt und liebt, ſolte man nicht mahlen! Da hat die Einbildung zu viel Muße! Bey einer Sil- houette arbeitet ſie mit, ſie fuͤllt die Striche aus, bringt Colorit an — Um unſere Lie- ben der geehrten Nachwelt zuruͤckzulaſſen, iſt ein Gemaͤhlde noͤthig! Wir waren ſo eins am Waßer, daß alles Er und Sie, Sie und Er war. Warum wir uns nicht dutzten, weis ich bis dieſen Augenblick nicht — Ihre Mutter? weiß alles — Gott-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/496
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/496>, abgerufen am 25.11.2024.