Einen freundlichen Grus und alles Liebes und Gutes zum Voraus
WohlEhrwürdige, Veste, Hoch und wohl- gelahrte Frau Pastorin,
Fürsichtige Seelsorgerin und Mutter meines zweyten Herrn,
Nebst dienstwilliger Bitte, mir durch die Finger zu sehen, daß ich so keck bin, schriftlich Ew. WohlEhrwürden hinterm Stuhl zu ste- hen und auf diesem Teller ein Glas Waßer zu reichen. Wer durstig ist, steckt auch die Nase in ein Glas Waßer. Ein Schelm giebt mehr, als er hat. Mit der Zeit hof ich ein Spitz- gläschen Wein reichen zu können. Ew. Wohl- Ehrwürden dürfen nicht glauben, daß ich Ihr Kleid mit diesem Glas Waßer begießen wer- de, und wenn ich etwas vergösse, ists doch blos Waßer! Wo das fleckt, ist die Farbe nicht ächt -- Ew. WohlEhrwürden haben alles ächte Farben.
Ich lerne, was man nur kann. Ver- stand kommt nicht vor Jahren, wie ich sehe,
weder
S 3
Einen freundlichen Grus und alles Liebes und Gutes zum Voraus
WohlEhrwuͤrdige, Veſte, Hoch und wohl- gelahrte Frau Paſtorin,
Fuͤrſichtige Seelſorgerin und Mutter meines zweyten Herrn,
Nebſt dienſtwilliger Bitte, mir durch die Finger zu ſehen, daß ich ſo keck bin, ſchriftlich Ew. WohlEhrwuͤrden hinterm Stuhl zu ſte- hen und auf dieſem Teller ein Glas Waßer zu reichen. Wer durſtig iſt, ſteckt auch die Naſe in ein Glas Waßer. Ein Schelm giebt mehr, als er hat. Mit der Zeit hof ich ein Spitz- glaͤschen Wein reichen zu koͤnnen. Ew. Wohl- Ehrwuͤrden duͤrfen nicht glauben, daß ich Ihr Kleid mit dieſem Glas Waßer begießen wer- de, und wenn ich etwas vergoͤſſe, iſts doch blos Waßer! Wo das fleckt, iſt die Farbe nicht aͤcht — Ew. WohlEhrwuͤrden haben alles aͤchte Farben.
Ich lerne, was man nur kann. Ver- ſtand kommt nicht vor Jahren, wie ich ſehe,
weder
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Einen freundlichen Grus und alles Liebes
und Gutes zum Voraus
WohlEhrwuͤrdige, Veſte, Hoch und wohl-
gelahrte Frau Paſtorin,
Fuͤrſichtige Seelſorgerin und Mutter meines
zweyten Herrn,
Nebſt dienſtwilliger Bitte, mir durch die
Finger zu ſehen, daß ich ſo keck bin, ſchriftlich
Ew. WohlEhrwuͤrden hinterm Stuhl zu ſte-
hen und auf dieſem Teller ein Glas Waßer zu
reichen. Wer durſtig iſt, ſteckt auch die Naſe
in ein Glas Waßer. Ein Schelm giebt mehr,
als er hat. Mit der Zeit hof ich ein Spitz-
glaͤschen Wein reichen zu koͤnnen. Ew. Wohl-
Ehrwuͤrden duͤrfen nicht glauben, daß ich Ihr
Kleid mit dieſem Glas Waßer begießen wer-
de, und wenn ich etwas vergoͤſſe, iſts doch
blos Waßer! Wo das fleckt, iſt die Farbe
nicht aͤcht — Ew. WohlEhrwuͤrden haben alles
aͤchte Farben.
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/283>, abgerufen am 26.11.2024.
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