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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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straktion ist geistisch. Zwar ist auch hier die
Anschauung die Probe; allein sie bleibt so
schwer, als das zu probirende Exempel selbst,
und noch schwerer. Leichter ists, die Sphä-
ren-Musik zu hören, oder ein Dichter zu seyn,
als abstrakte Sachen anzuschauen und an-
schauend zu machen! -- Nur Sonntagskin-
der können Geister sehen, so wie Leibnitz, zum
Beispiel, auf einem Baum das Principium
indiscernibilium. Zwar geben sich auch et-
liche mit Geisterbeschwörungen ab; allein ich
halte nichts von der Clavicula Salomonis,
und wer weis es nicht, wie es dem D. Faust
gegangen?

Der Fuß schläft zuweilen ein, und wer
kann alsdenn von hinnen! Man nennt dies
Besterben; wer sagt aber, daß der Kopf be-
stirbt, und doch bestirbt er eben so, und aus
eben der Ursache, wie der Fuß. Wir merken
nicht so stark auf das, was den Organenbe-
weger trift, als auf die Organe. Ungern
laßen wir Etwas auf den Kopf kommen, den
wir zur Schau tragen, für jeden, der Lust
und Liebe zu sehen hat. Wir thun gegen alle
Welt gros damit. Dem Mann der Hut,
dem Weibe die Kinder. Den Hut können
wir mit leichter Mühe abnehmen; sonst wür-

den

ſtraktion iſt geiſtiſch. Zwar iſt auch hier die
Anſchauung die Probe; allein ſie bleibt ſo
ſchwer, als das zu probirende Exempel ſelbſt,
und noch ſchwerer. Leichter iſts, die Sphaͤ-
ren-Muſik zu hoͤren, oder ein Dichter zu ſeyn,
als abſtrakte Sachen anzuſchauen und an-
ſchauend zu machen! — Nur Sonntagskin-
der koͤnnen Geiſter ſehen, ſo wie Leibnitz, zum
Beiſpiel, auf einem Baum das Principium
indiſcernibilium. Zwar geben ſich auch et-
liche mit Geiſterbeſchwoͤrungen ab; allein ich
halte nichts von der Clavicula Salomonis,
und wer weis es nicht, wie es dem D. Fauſt
gegangen?

Der Fuß ſchlaͤft zuweilen ein, und wer
kann alsdenn von hinnen! Man nennt dies
Beſterben; wer ſagt aber, daß der Kopf be-
ſtirbt, und doch beſtirbt er eben ſo, und aus
eben der Urſache, wie der Fuß. Wir merken
nicht ſo ſtark auf das, was den Organenbe-
weger trift, als auf die Organe. Ungern
laßen wir Etwas auf den Kopf kommen, den
wir zur Schau tragen, fuͤr jeden, der Luſt
und Liebe zu ſehen hat. Wir thun gegen alle
Welt gros damit. Dem Mann der Hut,
dem Weibe die Kinder. Den Hut koͤnnen
wir mit leichter Muͤhe abnehmen; ſonſt wuͤr-

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[22/0028] ſtraktion iſt geiſtiſch. Zwar iſt auch hier die Anſchauung die Probe; allein ſie bleibt ſo ſchwer, als das zu probirende Exempel ſelbſt, und noch ſchwerer. Leichter iſts, die Sphaͤ- ren-Muſik zu hoͤren, oder ein Dichter zu ſeyn, als abſtrakte Sachen anzuſchauen und an- ſchauend zu machen! — Nur Sonntagskin- der koͤnnen Geiſter ſehen, ſo wie Leibnitz, zum Beiſpiel, auf einem Baum das Principium indiſcernibilium. Zwar geben ſich auch et- liche mit Geiſterbeſchwoͤrungen ab; allein ich halte nichts von der Clavicula Salomonis, und wer weis es nicht, wie es dem D. Fauſt gegangen? Der Fuß ſchlaͤft zuweilen ein, und wer kann alsdenn von hinnen! Man nennt dies Beſterben; wer ſagt aber, daß der Kopf be- ſtirbt, und doch beſtirbt er eben ſo, und aus eben der Urſache, wie der Fuß. Wir merken nicht ſo ſtark auf das, was den Organenbe- weger trift, als auf die Organe. Ungern laßen wir Etwas auf den Kopf kommen, den wir zur Schau tragen, fuͤr jeden, der Luſt und Liebe zu ſehen hat. Wir thun gegen alle Welt gros damit. Dem Mann der Hut, dem Weibe die Kinder. Den Hut koͤnnen wir mit leichter Muͤhe abnehmen; ſonſt wuͤr- den

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/28>, abgerufen am 29.03.2024.