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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Thier und Engel! -- Die Seele ist Mittler
zwischen Geist und Körper. Mein Geist
denkt vernünftig, zusammenhängend allge-
meine Wahrheiten; indessen ist mein Geist
ein ausgelernter Geist. Kinder zeigen so we-
nig von allen diesen Menscheneigenschaften,
daß einem jeden klugen Mann bange wird,
wenn er sein Kind sieht. Kluger Mann, sag
ich, das heißt ein solcher der die wenigste Af-
fenliebe hat. Wer hat sie aber nicht? Gemein-
hin verzweifelt der Kluge auch in Verhältnis
von sich auf den Kleinen: ob je aus dem
Kindlein was werden würde, und eben dar-
um gerathen so selten die Kinder der Gelehr-
ten. In der ersten Jugend wissen sie so viel,
daß man gewis glaubt, sie würden eher Ma-
gisters werden, als Leibnitz; allein sie blei-
ben bald stockstill stehen -- -- Der Herr
Vater giebt sie auf --

Vielleicht werd ich noch ein Paar mahl
verwandelt, ehe ich das Bewußtseyn meines
ganzen Gewesens erhalte und die Kette über-
sehe, welche ich hinauf gieng. Mein Kör-
per steht auf. Nichts wird ganz vernichtet.
Alles, das geringste Stäubchen nicht ausge-
schlossen, ist zu etwas gut! -- Die Vernunft
ist ewig! ewig! Sie ist der Sitz des göttli-

chen

Thier und Engel! — Die Seele iſt Mittler
zwiſchen Geiſt und Koͤrper. Mein Geiſt
denkt vernuͤnftig, zuſammenhaͤngend allge-
meine Wahrheiten; indeſſen iſt mein Geiſt
ein ausgelernter Geiſt. Kinder zeigen ſo we-
nig von allen dieſen Menſcheneigenſchaften,
daß einem jeden klugen Mann bange wird,
wenn er ſein Kind ſieht. Kluger Mann, ſag
ich, das heißt ein ſolcher der die wenigſte Af-
fenliebe hat. Wer hat ſie aber nicht? Gemein-
hin verzweifelt der Kluge auch in Verhaͤltnis
von ſich auf den Kleinen: ob je aus dem
Kindlein was werden wuͤrde, und eben dar-
um gerathen ſo ſelten die Kinder der Gelehr-
ten. In der erſten Jugend wiſſen ſie ſo viel,
daß man gewis glaubt, ſie wuͤrden eher Ma-
giſters werden, als Leibnitz; allein ſie blei-
ben bald ſtockſtill ſtehen — — Der Herr
Vater giebt ſie auf —

Vielleicht werd ich noch ein Paar mahl
verwandelt, ehe ich das Bewußtſeyn meines
ganzen Geweſens erhalte und die Kette uͤber-
ſehe, welche ich hinauf gieng. Mein Koͤr-
per ſteht auf. Nichts wird ganz vernichtet.
Alles, das geringſte Staͤubchen nicht ausge-
ſchloſſen, iſt zu etwas gut! — Die Vernunft
iſt ewig! ewig! Sie iſt der Sitz des goͤttli-

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[252/0258] Thier und Engel! — Die Seele iſt Mittler zwiſchen Geiſt und Koͤrper. Mein Geiſt denkt vernuͤnftig, zuſammenhaͤngend allge- meine Wahrheiten; indeſſen iſt mein Geiſt ein ausgelernter Geiſt. Kinder zeigen ſo we- nig von allen dieſen Menſcheneigenſchaften, daß einem jeden klugen Mann bange wird, wenn er ſein Kind ſieht. Kluger Mann, ſag ich, das heißt ein ſolcher der die wenigſte Af- fenliebe hat. Wer hat ſie aber nicht? Gemein- hin verzweifelt der Kluge auch in Verhaͤltnis von ſich auf den Kleinen: ob je aus dem Kindlein was werden wuͤrde, und eben dar- um gerathen ſo ſelten die Kinder der Gelehr- ten. In der erſten Jugend wiſſen ſie ſo viel, daß man gewis glaubt, ſie wuͤrden eher Ma- giſters werden, als Leibnitz; allein ſie blei- ben bald ſtockſtill ſtehen — — Der Herr Vater giebt ſie auf — Vielleicht werd ich noch ein Paar mahl verwandelt, ehe ich das Bewußtſeyn meines ganzen Geweſens erhalte und die Kette uͤber- ſehe, welche ich hinauf gieng. Mein Koͤr- per ſteht auf. Nichts wird ganz vernichtet. Alles, das geringſte Staͤubchen nicht ausge- ſchloſſen, iſt zu etwas gut! — Die Vernunft iſt ewig! ewig! Sie iſt der Sitz des goͤttli- chen

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/258>, abgerufen am 24.11.2024.