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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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wo er vielleicht länger lebt, und ohne vielen
Schmerz einschlummert, wo indessen gegen
eine einzige Stunde jetziges Leben Tage und
Wochen dieser Einsamkeit wie gar nichts sind.
Was ist ihm solch ein Baum des Lebens? Er
lebt hier auch im Singulari. Im Staate
lebt der Mensch im Plurali. Zwar kann man
sich einen Stand der Natur denken, und der
erste bekannte Schriftsteller entwirft uns ein
Bild im paradiesischen Adam von dem Natur-
stande, so wie der Stifter der christlichen Re-
ligion, der zweyte Adam, ein Urbild des voll-
kommensten Menschen im Staat ist.

Wenn Feinde seines Namens behaupten
wollen, Christus habe ein weltliches Reich
stiften wollen; so ists aus zwey Drittel Ur-
sachen eher unglaublich, als glaublich; allein
gesetzt er wolt' es; so war es blos, um die
Menschen auf diesem Wege zu dem Ende des
Vater unsers, zu dem zu bringen, dessen al-
lein das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit
ist! dahin gieng er auf dieser Welt! und wenn
die Menschen so stockblind waren, daß sie das
Licht nicht sehen, das er ihnen anzünden wol-
te, wenn er in sein Eigenthum kam, und die
Seinen ihn nicht aufnahmen; so lies er uns
wenigstens ein Vorbild, nachzufolgen seinen

Fuß-

wo er vielleicht laͤnger lebt, und ohne vielen
Schmerz einſchlummert, wo indeſſen gegen
eine einzige Stunde jetziges Leben Tage und
Wochen dieſer Einſamkeit wie gar nichts ſind.
Was iſt ihm ſolch ein Baum des Lebens? Er
lebt hier auch im Singulari. Im Staate
lebt der Menſch im Plurali. Zwar kann man
ſich einen Stand der Natur denken, und der
erſte bekannte Schriftſteller entwirft uns ein
Bild im paradieſiſchen Adam von dem Natur-
ſtande, ſo wie der Stifter der chriſtlichen Re-
ligion, der zweyte Adam, ein Urbild des voll-
kommenſten Menſchen im Staat iſt.

Wenn Feinde ſeines Namens behaupten
wollen, Chriſtus habe ein weltliches Reich
ſtiften wollen; ſo iſts aus zwey Drittel Ur-
ſachen eher unglaublich, als glaublich; allein
geſetzt er wolt’ es; ſo war es blos, um die
Menſchen auf dieſem Wege zu dem Ende des
Vater unſers, zu dem zu bringen, deſſen al-
lein das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit
iſt! dahin gieng er auf dieſer Welt! und wenn
die Menſchen ſo ſtockblind waren, daß ſie das
Licht nicht ſehen, das er ihnen anzuͤnden wol-
te, wenn er in ſein Eigenthum kam, und die
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wenigſtens ein Vorbild, nachzufolgen ſeinen

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[182/0188] wo er vielleicht laͤnger lebt, und ohne vielen Schmerz einſchlummert, wo indeſſen gegen eine einzige Stunde jetziges Leben Tage und Wochen dieſer Einſamkeit wie gar nichts ſind. Was iſt ihm ſolch ein Baum des Lebens? Er lebt hier auch im Singulari. Im Staate lebt der Menſch im Plurali. Zwar kann man ſich einen Stand der Natur denken, und der erſte bekannte Schriftſteller entwirft uns ein Bild im paradieſiſchen Adam von dem Natur- ſtande, ſo wie der Stifter der chriſtlichen Re- ligion, der zweyte Adam, ein Urbild des voll- kommenſten Menſchen im Staat iſt. Wenn Feinde ſeines Namens behaupten wollen, Chriſtus habe ein weltliches Reich ſtiften wollen; ſo iſts aus zwey Drittel Ur- ſachen eher unglaublich, als glaublich; allein geſetzt er wolt’ es; ſo war es blos, um die Menſchen auf dieſem Wege zu dem Ende des Vater unſers, zu dem zu bringen, deſſen al- lein das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit iſt! dahin gieng er auf dieſer Welt! und wenn die Menſchen ſo ſtockblind waren, daß ſie das Licht nicht ſehen, das er ihnen anzuͤnden wol- te, wenn er in ſein Eigenthum kam, und die Seinen ihn nicht aufnahmen; ſo lies er uns wenigſtens ein Vorbild, nachzufolgen ſeinen Fuß-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/188>, abgerufen am 21.11.2024.