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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Herrn Vater unsers kleinen Davids einen
Verehrer gefunden; so war der junge Herr
gezwungen, den kürzern zu ziehen, seine
Schleuder ungebraucht zu lassen, und sich
höchstens mit einem verstohlnen Blick des
Beyfalls von seiner guten Mutter zu begnü-
gen. Dieses ädle Weib hatte die gerechte-
sten Klagen wider ihren Mann, besonders in
puncto puncti.
Auch außer dem Puncto puncti
nahm sich der alte Herr v. G -- so manche
schreyende Härte nicht übel, und befand sich
dabey recht wohl. Fiel ja ein Gewissensbiß
vor, so hatte der Hausarzt ein Recept von
Sprüchen, die ihn auf der Stelle beruhigten.
Arzt und Patient waren gleich kurzsichtig.
Aus seines Vaters Hause gieng unser selige
Mitbruder in die academische Welt, lies seiner
Denkungsart, die bishero Ziegel gestrichen,
den freyen Lauf und ward -- Dreistdenker.
Anfänglich war es nur, um das Grosmaul,
den theologischen Goliath, zu Gottes Erd-
boden zu bringen. Obgleich dieser Ausfor-
derer
in dem väterlichen Hause zurückgeblie-
ben war, und mit keinem kleinen Stein er-
reicht werden konnte; so war er doch unserm
David so lebhaft, daß er mit einem kleinen
Steinchen nach dem andern seine Stirn pro-

birte.
L

Herrn Vater unſers kleinen Davids einen
Verehrer gefunden; ſo war der junge Herr
gezwungen, den kuͤrzern zu ziehen, ſeine
Schleuder ungebraucht zu laſſen, und ſich
hoͤchſtens mit einem verſtohlnen Blick des
Beyfalls von ſeiner guten Mutter zu begnuͤ-
gen. Dieſes aͤdle Weib hatte die gerechte-
ſten Klagen wider ihren Mann, beſonders in
puncto puncti.
Auch außer dem Puncto puncti
nahm ſich der alte Herr v. G — ſo manche
ſchreyende Haͤrte nicht uͤbel, und befand ſich
dabey recht wohl. Fiel ja ein Gewiſſensbiß
vor, ſo hatte der Hausarzt ein Recept von
Spruͤchen, die ihn auf der Stelle beruhigten.
Arzt und Patient waren gleich kurzſichtig.
Aus ſeines Vaters Hauſe gieng unſer ſelige
Mitbruder in die academiſche Welt, lies ſeiner
Denkungsart, die bishero Ziegel geſtrichen,
den freyen Lauf und ward — Dreiſtdenker.
Anfaͤnglich war es nur, um das Grosmaul,
den theologiſchen Goliath, zu Gottes Erd-
boden zu bringen. Obgleich dieſer Ausfor-
derer
in dem vaͤterlichen Hauſe zuruͤckgeblie-
ben war, und mit keinem kleinen Stein er-
reicht werden konnte; ſo war er doch unſerm
David ſo lebhaft, daß er mit einem kleinen
Steinchen nach dem andern ſeine Stirn pro-

birte.
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[161/0167] Herrn Vater unſers kleinen Davids einen Verehrer gefunden; ſo war der junge Herr gezwungen, den kuͤrzern zu ziehen, ſeine Schleuder ungebraucht zu laſſen, und ſich hoͤchſtens mit einem verſtohlnen Blick des Beyfalls von ſeiner guten Mutter zu begnuͤ- gen. Dieſes aͤdle Weib hatte die gerechte- ſten Klagen wider ihren Mann, beſonders in puncto puncti. Auch außer dem Puncto puncti nahm ſich der alte Herr v. G — ſo manche ſchreyende Haͤrte nicht uͤbel, und befand ſich dabey recht wohl. Fiel ja ein Gewiſſensbiß vor, ſo hatte der Hausarzt ein Recept von Spruͤchen, die ihn auf der Stelle beruhigten. Arzt und Patient waren gleich kurzſichtig. Aus ſeines Vaters Hauſe gieng unſer ſelige Mitbruder in die academiſche Welt, lies ſeiner Denkungsart, die bishero Ziegel geſtrichen, den freyen Lauf und ward — Dreiſtdenker. Anfaͤnglich war es nur, um das Grosmaul, den theologiſchen Goliath, zu Gottes Erd- boden zu bringen. Obgleich dieſer Ausfor- derer in dem vaͤterlichen Hauſe zuruͤckgeblie- ben war, und mit keinem kleinen Stein er- reicht werden konnte; ſo war er doch unſerm David ſo lebhaft, daß er mit einem kleinen Steinchen nach dem andern ſeine Stirn pro- birte. L

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/167>, abgerufen am 01.05.2024.