wohin es gienge. Die Augen so geschlossen, als ob er sich alles willig gefallen ließe, und gern unter Gottes Regiment blind wäre, ohne alle Capitulation. Wer wird auch mit dem guten, mit dem lieben Gott, capituliren.
Tiresias tödtete die Frau Drachen, und ward aus einem Manne ein Weib. Nach sie- ben Jahren tödtete sie oder er den Herrn Dra- chen, und ward ein Mann. Seiner Offen- herzigkeit halber, da Jupiter und Juno über die Süßigkeiten des Ehestandes stritten, und er dem weiblichen Geschlecht den Apfel reichte, ward Juno aufgebracht; denn welche Dame, wäre sie auch eine Göttin, thut nicht so, als sey ihr nichts um die Liebkosung der Männer zu thun, und sey es auch Herr Jupiter, der ihr liebkose. Der Zorn der Juno machte den Tiresias blind. Jupiter aber verlieh ihm in höchsten Gnaden das Privilegium personale, wiewohl in casu onerosum, wahr zu sagen, zur Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieser Fa- bel: Tiresias hatte so die Augen zu, wie un- ser Verstorbene -- Er war so zufrieden, wie Tiresias. Das Schicksal wolt' es, daß er die Augen schließen solte, und er schlos sie. So auch unser Kopf. Tiresias war blind und sah mehr, als Leute, die ihre zwey Augen
im
wohin es gienge. Die Augen ſo geſchloſſen, als ob er ſich alles willig gefallen ließe, und gern unter Gottes Regiment blind waͤre, ohne alle Capitulation. Wer wird auch mit dem guten, mit dem lieben Gott, capituliren.
Tireſias toͤdtete die Frau Drachen, und ward aus einem Manne ein Weib. Nach ſie- ben Jahren toͤdtete ſie oder er den Herrn Dra- chen, und ward ein Mann. Seiner Offen- herzigkeit halber, da Jupiter und Juno uͤber die Suͤßigkeiten des Eheſtandes ſtritten, und er dem weiblichen Geſchlecht den Apfel reichte, ward Juno aufgebracht; denn welche Dame, waͤre ſie auch eine Goͤttin, thut nicht ſo, als ſey ihr nichts um die Liebkoſung der Maͤnner zu thun, und ſey es auch Herr Jupiter, der ihr liebkoſe. Der Zorn der Juno machte den Tireſias blind. Jupiter aber verlieh ihm in hoͤchſten Gnaden das Privilegium perſonale, wiewohl in caſu oneroſum, wahr zu ſagen, zur Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieſer Fa- bel: Tireſias hatte ſo die Augen zu, wie un- ſer Verſtorbene — Er war ſo zufrieden, wie Tireſias. Das Schickſal wolt’ es, daß er die Augen ſchließen ſolte, und er ſchlos ſie. So auch unſer Kopf. Tireſias war blind und ſah mehr, als Leute, die ihre zwey Augen
im
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0081"n="75"/>
wohin es gienge. Die Augen ſo geſchloſſen,<lb/>
als ob er ſich alles willig gefallen ließe, und<lb/>
gern unter Gottes Regiment blind waͤre, ohne<lb/>
alle Capitulation. Wer wird auch mit dem<lb/>
guten, mit dem lieben Gott, capituliren.</p><lb/><p>Tireſias toͤdtete die Frau Drachen, und<lb/>
ward aus einem Manne ein Weib. Nach ſie-<lb/>
ben Jahren toͤdtete ſie oder er den Herrn Dra-<lb/>
chen, und ward ein Mann. Seiner Offen-<lb/>
herzigkeit halber, da Jupiter und Juno uͤber<lb/>
die Suͤßigkeiten des Eheſtandes ſtritten, und<lb/>
er dem weiblichen Geſchlecht den Apfel reichte,<lb/>
ward Juno aufgebracht; denn welche Dame,<lb/>
waͤre ſie auch eine Goͤttin, thut nicht ſo, als<lb/>ſey ihr nichts um die Liebkoſung der Maͤnner<lb/>
zu thun, und ſey es auch Herr Jupiter, der<lb/>
ihr liebkoſe. Der Zorn der Juno machte den<lb/>
Tireſias blind. Jupiter aber verlieh ihm in<lb/>
hoͤchſten Gnaden das Privilegium perſonale,<lb/>
wiewohl <hirendition="#aq">in caſu oneroſum,</hi> wahr zu ſagen, zur<lb/>
Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieſer Fa-<lb/>
bel: Tireſias hatte ſo die Augen zu, wie un-<lb/>ſer Verſtorbene — Er war ſo zufrieden,<lb/>
wie Tireſias. Das Schickſal wolt’ es, daß<lb/>
er die Augen ſchließen ſolte, und er ſchlos ſie.<lb/>
So auch unſer Kopf. Tireſias war blind und<lb/>ſah mehr, als Leute, die ihre zwey Augen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">im</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[75/0081]
wohin es gienge. Die Augen ſo geſchloſſen,
als ob er ſich alles willig gefallen ließe, und
gern unter Gottes Regiment blind waͤre, ohne
alle Capitulation. Wer wird auch mit dem
guten, mit dem lieben Gott, capituliren.
Tireſias toͤdtete die Frau Drachen, und
ward aus einem Manne ein Weib. Nach ſie-
ben Jahren toͤdtete ſie oder er den Herrn Dra-
chen, und ward ein Mann. Seiner Offen-
herzigkeit halber, da Jupiter und Juno uͤber
die Suͤßigkeiten des Eheſtandes ſtritten, und
er dem weiblichen Geſchlecht den Apfel reichte,
ward Juno aufgebracht; denn welche Dame,
waͤre ſie auch eine Goͤttin, thut nicht ſo, als
ſey ihr nichts um die Liebkoſung der Maͤnner
zu thun, und ſey es auch Herr Jupiter, der
ihr liebkoſe. Der Zorn der Juno machte den
Tireſias blind. Jupiter aber verlieh ihm in
hoͤchſten Gnaden das Privilegium perſonale,
wiewohl in caſu oneroſum, wahr zu ſagen, zur
Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieſer Fa-
bel: Tireſias hatte ſo die Augen zu, wie un-
ſer Verſtorbene — Er war ſo zufrieden,
wie Tireſias. Das Schickſal wolt’ es, daß
er die Augen ſchließen ſolte, und er ſchlos ſie.
So auch unſer Kopf. Tireſias war blind und
ſah mehr, als Leute, die ihre zwey Augen
im
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/81>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.