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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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wohin es gienge. Die Augen so geschlossen,
als ob er sich alles willig gefallen ließe, und
gern unter Gottes Regiment blind wäre, ohne
alle Capitulation. Wer wird auch mit dem
guten, mit dem lieben Gott, capituliren.

Tiresias tödtete die Frau Drachen, und
ward aus einem Manne ein Weib. Nach sie-
ben Jahren tödtete sie oder er den Herrn Dra-
chen, und ward ein Mann. Seiner Offen-
herzigkeit halber, da Jupiter und Juno über
die Süßigkeiten des Ehestandes stritten, und
er dem weiblichen Geschlecht den Apfel reichte,
ward Juno aufgebracht; denn welche Dame,
wäre sie auch eine Göttin, thut nicht so, als
sey ihr nichts um die Liebkosung der Männer
zu thun, und sey es auch Herr Jupiter, der
ihr liebkose. Der Zorn der Juno machte den
Tiresias blind. Jupiter aber verlieh ihm in
höchsten Gnaden das Privilegium personale,
wiewohl in casu onerosum, wahr zu sagen, zur
Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieser Fa-
bel: Tiresias hatte so die Augen zu, wie un-
ser Verstorbene -- Er war so zufrieden,
wie Tiresias. Das Schicksal wolt' es, daß
er die Augen schließen solte, und er schlos sie.
So auch unser Kopf. Tiresias war blind und
sah mehr, als Leute, die ihre zwey Augen

im

wohin es gienge. Die Augen ſo geſchloſſen,
als ob er ſich alles willig gefallen ließe, und
gern unter Gottes Regiment blind waͤre, ohne
alle Capitulation. Wer wird auch mit dem
guten, mit dem lieben Gott, capituliren.

Tireſias toͤdtete die Frau Drachen, und
ward aus einem Manne ein Weib. Nach ſie-
ben Jahren toͤdtete ſie oder er den Herrn Dra-
chen, und ward ein Mann. Seiner Offen-
herzigkeit halber, da Jupiter und Juno uͤber
die Suͤßigkeiten des Eheſtandes ſtritten, und
er dem weiblichen Geſchlecht den Apfel reichte,
ward Juno aufgebracht; denn welche Dame,
waͤre ſie auch eine Goͤttin, thut nicht ſo, als
ſey ihr nichts um die Liebkoſung der Maͤnner
zu thun, und ſey es auch Herr Jupiter, der
ihr liebkoſe. Der Zorn der Juno machte den
Tireſias blind. Jupiter aber verlieh ihm in
hoͤchſten Gnaden das Privilegium perſonale,
wiewohl in caſu oneroſum, wahr zu ſagen, zur
Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieſer Fa-
bel: Tireſias hatte ſo die Augen zu, wie un-
ſer Verſtorbene — Er war ſo zufrieden,
wie Tireſias. Das Schickſal wolt’ es, daß
er die Augen ſchließen ſolte, und er ſchlos ſie.
So auch unſer Kopf. Tireſias war blind und
ſah mehr, als Leute, die ihre zwey Augen

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[75/0081] wohin es gienge. Die Augen ſo geſchloſſen, als ob er ſich alles willig gefallen ließe, und gern unter Gottes Regiment blind waͤre, ohne alle Capitulation. Wer wird auch mit dem guten, mit dem lieben Gott, capituliren. Tireſias toͤdtete die Frau Drachen, und ward aus einem Manne ein Weib. Nach ſie- ben Jahren toͤdtete ſie oder er den Herrn Dra- chen, und ward ein Mann. Seiner Offen- herzigkeit halber, da Jupiter und Juno uͤber die Suͤßigkeiten des Eheſtandes ſtritten, und er dem weiblichen Geſchlecht den Apfel reichte, ward Juno aufgebracht; denn welche Dame, waͤre ſie auch eine Goͤttin, thut nicht ſo, als ſey ihr nichts um die Liebkoſung der Maͤnner zu thun, und ſey es auch Herr Jupiter, der ihr liebkoſe. Der Zorn der Juno machte den Tireſias blind. Jupiter aber verlieh ihm in hoͤchſten Gnaden das Privilegium perſonale, wiewohl in caſu oneroſum, wahr zu ſagen, zur Erkenntlichkeit. Die Anwendung dieſer Fa- bel: Tireſias hatte ſo die Augen zu, wie un- ſer Verſtorbene — Er war ſo zufrieden, wie Tireſias. Das Schickſal wolt’ es, daß er die Augen ſchließen ſolte, und er ſchlos ſie. So auch unſer Kopf. Tireſias war blind und ſah mehr, als Leute, die ihre zwey Augen im

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/81>, abgerufen am 23.11.2024.