feil ist. Ich behalte diese Gewohnheit auch bey. Ueber jede Thür in meinem Sterbhause, wo gestorben wird, ist ein Reis als ein Sie- geszeichen angesteckt; warum ich aber an Ei- nem Sterbenden nicht genug habe, geschiehet nicht sowohl meinet, als der Sterbenden we- gen. Man hat sich gewaltiglich über den Gebrauch der Alten gewundert, daß man bey der Leiche anderer viele Leichen machte, um dem Gott des Todes den Mund zu stopfen, und den Charon auf einen Tag in solchen Schweiß zu setzen, daß er fast selbst gestorben wäre. Man hat, dünkt mich, Ursache sich zu wundern. So viel ist aber gewis, daß es weit angenehmer ist, in Gesellschaft zu ster- ben, als in Gesellschaft zu leben. Der größte Theil der Menschen stirbt eben darum so schwer, weil er alles verlaßen muß, und weil ihn alles verläst, weil er so sehr allein bleibt. Ein schweres Wort allein. Der Mensch ist ein geselliges Thier. Der Sterbende hat selbst so oft und viel in seinem Leben, derer, die starben, vergeßen, als daß er auf die Ehre eines längern Andenkens rechnen sollte. Wenn er aber mit dem Zirkel, in dem er leibte und lebte, in einem stirbt; wie tröstet dies? Auch wenn ihm die andre Welt und die Wie-
derkunft
feil iſt. Ich behalte dieſe Gewohnheit auch bey. Ueber jede Thuͤr in meinem Sterbhauſe, wo geſtorben wird, iſt ein Reis als ein Sie- geszeichen angeſteckt; warum ich aber an Ei- nem Sterbenden nicht genug habe, geſchiehet nicht ſowohl meinet, als der Sterbenden we- gen. Man hat ſich gewaltiglich uͤber den Gebrauch der Alten gewundert, daß man bey der Leiche anderer viele Leichen machte, um dem Gott des Todes den Mund zu ſtopfen, und den Charon auf einen Tag in ſolchen Schweiß zu ſetzen, daß er faſt ſelbſt geſtorben waͤre. Man hat, duͤnkt mich, Urſache ſich zu wundern. So viel iſt aber gewis, daß es weit angenehmer iſt, in Geſellſchaft zu ſter- ben, als in Geſellſchaft zu leben. Der groͤßte Theil der Menſchen ſtirbt eben darum ſo ſchwer, weil er alles verlaßen muß, und weil ihn alles verlaͤſt, weil er ſo ſehr allein bleibt. Ein ſchweres Wort allein. Der Menſch iſt ein geſelliges Thier. Der Sterbende hat ſelbſt ſo oft und viel in ſeinem Leben, derer, die ſtarben, vergeßen, als daß er auf die Ehre eines laͤngern Andenkens rechnen ſollte. Wenn er aber mit dem Zirkel, in dem er leibte und lebte, in einem ſtirbt; wie troͤſtet dies? Auch wenn ihm die andre Welt und die Wie-
derkunft
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[62/0068]
feil iſt. Ich behalte dieſe Gewohnheit auch
bey. Ueber jede Thuͤr in meinem Sterbhauſe,
wo geſtorben wird, iſt ein Reis als ein Sie-
geszeichen angeſteckt; warum ich aber an Ei-
nem Sterbenden nicht genug habe, geſchiehet
nicht ſowohl meinet, als der Sterbenden we-
gen. Man hat ſich gewaltiglich uͤber den
Gebrauch der Alten gewundert, daß man bey
der Leiche anderer viele Leichen machte, um
dem Gott des Todes den Mund zu ſtopfen,
und den Charon auf einen Tag in ſolchen
Schweiß zu ſetzen, daß er faſt ſelbſt geſtorben
waͤre. Man hat, duͤnkt mich, Urſache ſich
zu wundern. So viel iſt aber gewis, daß es
weit angenehmer iſt, in Geſellſchaft zu ſter-
ben, als in Geſellſchaft zu leben. Der groͤßte
Theil der Menſchen ſtirbt eben darum ſo
ſchwer, weil er alles verlaßen muß, und weil
ihn alles verlaͤſt, weil er ſo ſehr allein bleibt.
Ein ſchweres Wort allein. Der Menſch iſt
ein geſelliges Thier. Der Sterbende hat
ſelbſt ſo oft und viel in ſeinem Leben, derer,
die ſtarben, vergeßen, als daß er auf die
Ehre eines laͤngern Andenkens rechnen ſollte.
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/68>, abgerufen am 23.11.2024.
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