Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich
es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten,
oder brennen mußten; denn hier war es ewig
Nacht. Die Aerme schienen (so besonders
waren sie) schnell herauszuwachsen, um den
Wanderern auf dem finstern Wege zu leuch-
ten! -- Auf einer Seite waren sechs Lichter,
auf der andern fünfe. Warum das? Dafür
konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei-
lung der Spruchstelle:

Dein Wort ist meiner Füße Leuchte, sechs,
und die andre: ein Licht auf meinem Wege,
ganz richtig berechnet, fünf und nicht weniger
Wörter hatte. Ueber jedem Lichte stand ein
Wort, schön wie eine Dedication. Würd'
er dem Worte und auch einen Arm verehret
haben; so wären beyde Seiten gleich gewesen.
Das arme Wörtlein Und, ich hätt' es nicht
verstoßen, wenn ich der Graf gewesen wäre.
Es ist gemeinhin ein menschliches, liebes, gut-
herziges Wort, und ist seinen Arm werth.
Der Graf aber sprach ihm die Göttlichkeit
ab; wenn Gott spricht, ists ohne und. In
der Capelle selbst hieng ein Crucifix, und der
Schächer, den Christus ins Paradies mit-
nahm. Der sterbende Simeon, mit einer
Friedensmiene im Gesicht, die entgegen rief:

Herr,

kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich
es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten,
oder brennen mußten; denn hier war es ewig
Nacht. Die Aerme ſchienen (ſo beſonders
waren ſie) ſchnell herauszuwachſen, um den
Wanderern auf dem finſtern Wege zu leuch-
ten! — Auf einer Seite waren ſechs Lichter,
auf der andern fuͤnfe. Warum das? Dafuͤr
konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei-
lung der Spruchſtelle:

Dein Wort iſt meiner Fuͤße Leuchte, ſechs,
und die andre: ein Licht auf meinem Wege,
ganz richtig berechnet, fuͤnf und nicht weniger
Woͤrter hatte. Ueber jedem Lichte ſtand ein
Wort, ſchoͤn wie eine Dedication. Wuͤrd’
er dem Worte und auch einen Arm verehret
haben; ſo waͤren beyde Seiten gleich geweſen.
Das arme Woͤrtlein Und, ich haͤtt’ es nicht
verſtoßen, wenn ich der Graf geweſen waͤre.
Es iſt gemeinhin ein menſchliches, liebes, gut-
herziges Wort, und iſt ſeinen Arm werth.
Der Graf aber ſprach ihm die Goͤttlichkeit
ab; wenn Gott ſpricht, iſts ohne und. In
der Capelle ſelbſt hieng ein Crucifix, und der
Schaͤcher, den Chriſtus ins Paradies mit-
nahm. Der ſterbende Simeon, mit einer
Friedensmiene im Geſicht, die entgegen rief:

Herr,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="56"/>
kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich<lb/>
es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten,<lb/>
oder brennen mußten; denn hier war es ewig<lb/>
Nacht. Die Aerme &#x017F;chienen (&#x017F;o be&#x017F;onders<lb/>
waren &#x017F;ie) &#x017F;chnell herauszuwach&#x017F;en, um den<lb/>
Wanderern auf dem fin&#x017F;tern Wege zu leuch-<lb/>
ten! &#x2014; Auf einer Seite waren &#x017F;echs Lichter,<lb/>
auf der andern fu&#x0364;nfe. Warum das? Dafu&#x0364;r<lb/>
konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei-<lb/>
lung der Spruch&#x017F;telle:</p><lb/>
        <p>Dein Wort i&#x017F;t meiner Fu&#x0364;ße Leuchte, &#x017F;echs,<lb/>
und die andre: ein Licht auf meinem Wege,<lb/>
ganz richtig berechnet, fu&#x0364;nf und nicht weniger<lb/>
Wo&#x0364;rter hatte. Ueber jedem Lichte &#x017F;tand ein<lb/>
Wort, &#x017F;cho&#x0364;n wie eine Dedication. Wu&#x0364;rd&#x2019;<lb/>
er dem Worte <hi rendition="#fr">und</hi> auch einen Arm verehret<lb/>
haben; &#x017F;o wa&#x0364;ren beyde Seiten gleich gewe&#x017F;en.<lb/>
Das arme Wo&#x0364;rtlein <hi rendition="#fr">Und,</hi> ich ha&#x0364;tt&#x2019; es nicht<lb/>
ver&#x017F;toßen, wenn ich der Graf gewe&#x017F;en wa&#x0364;re.<lb/>
Es i&#x017F;t gemeinhin ein men&#x017F;chliches, liebes, gut-<lb/>
herziges Wort, und i&#x017F;t &#x017F;einen Arm werth.<lb/>
Der Graf aber &#x017F;prach ihm die Go&#x0364;ttlichkeit<lb/>
ab; wenn Gott &#x017F;pricht, i&#x017F;ts ohne <hi rendition="#fr">und.</hi> In<lb/>
der Capelle &#x017F;elb&#x017F;t hieng ein Crucifix, und der<lb/>
Scha&#x0364;cher, den Chri&#x017F;tus ins Paradies mit-<lb/>
nahm. Der &#x017F;terbende Simeon, mit einer<lb/>
Friedensmiene im Ge&#x017F;icht, die entgegen rief:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Herr,</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0062] kamen Aerme heraus, auf welchen, obgleich es hoch Tag war, jedennoch Lichter brannten, oder brennen mußten; denn hier war es ewig Nacht. Die Aerme ſchienen (ſo beſonders waren ſie) ſchnell herauszuwachſen, um den Wanderern auf dem finſtern Wege zu leuch- ten! — Auf einer Seite waren ſechs Lichter, auf der andern fuͤnfe. Warum das? Dafuͤr konnte der Graf nicht, daß die eine Abthei- lung der Spruchſtelle: Dein Wort iſt meiner Fuͤße Leuchte, ſechs, und die andre: ein Licht auf meinem Wege, ganz richtig berechnet, fuͤnf und nicht weniger Woͤrter hatte. Ueber jedem Lichte ſtand ein Wort, ſchoͤn wie eine Dedication. Wuͤrd’ er dem Worte und auch einen Arm verehret haben; ſo waͤren beyde Seiten gleich geweſen. Das arme Woͤrtlein Und, ich haͤtt’ es nicht verſtoßen, wenn ich der Graf geweſen waͤre. Es iſt gemeinhin ein menſchliches, liebes, gut- herziges Wort, und iſt ſeinen Arm werth. Der Graf aber ſprach ihm die Goͤttlichkeit ab; wenn Gott ſpricht, iſts ohne und. In der Capelle ſelbſt hieng ein Crucifix, und der Schaͤcher, den Chriſtus ins Paradies mit- nahm. Der ſterbende Simeon, mit einer Friedensmiene im Geſicht, die entgegen rief: Herr,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/62
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/62>, abgerufen am 23.11.2024.