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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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na ihr in der Höhe! Das Christenthum, sagt
ich, ist die einfachste Religion auf Gottes wei-
ten Erdboden, so wie der Geist einfach ist. Sie
kann Körper annehmen, wie in der Schrift En-
gel Körper angenommen haben, und wie man
von sehr guten Menschen, die gut wie Seelen
sind, sagen könnte: sie hätten Körper angenom-
men. Freylich adoptirten Engel keinen andern,
als menschliche, als solche Körper, die sie im
Griff hatten, die ihnen die nächsten waren. --
Die christliche Religion hat keinen Tempel, kein
Haus, kein Obdach nöthig, sondern überall,
wo Luft und Sonn ist, wo wir sind und we-
ben, ist Gottes Stuhl, und die ihn anrufen,
dörfen nicht das Gesicht drehen und wenden.
Gott ist überall. Im Morgen und in Mitter-
nacht. Wer recht thut, ist ihm angenehm.
Dies war (obgleich es hohe mystische nur we-
nigen verstehliche Toleranz ist) dem blos ge-
wöhnlichen und fürs Haus toleranten Prediger
so gefunden, daß er mit einer Dreistigkeit schloß,
die dem Grafen ein wenig zu hart auffiel.

Ceremonien, sagt' er, sind des Herzens
Härtigkeit wegen, und da, nach Orts Umstän-
den, die ersten die besten! --

Nicht also, lieber Gevatter, versetzte der
Graf, etwas untolerant. Ceremonien, lieber

Ge-

na ihr in der Hoͤhe! Das Chriſtenthum, ſagt
ich, iſt die einfachſte Religion auf Gottes wei-
ten Erdboden, ſo wie der Geiſt einfach iſt. Sie
kann Koͤrper annehmen, wie in der Schrift En-
gel Koͤrper angenommen haben, und wie man
von ſehr guten Menſchen, die gut wie Seelen
ſind, ſagen koͤnnte: ſie haͤtten Koͤrper angenom-
men. Freylich adoptirten Engel keinen andern,
als menſchliche, als ſolche Koͤrper, die ſie im
Griff hatten, die ihnen die naͤchſten waren. —
Die chriſtliche Religion hat keinen Tempel, kein
Haus, kein Obdach noͤthig, ſondern uͤberall,
wo Luft und Sonn iſt, wo wir ſind und we-
ben, iſt Gottes Stuhl, und die ihn anrufen,
doͤrfen nicht das Geſicht drehen und wenden.
Gott iſt uͤberall. Im Morgen und in Mitter-
nacht. Wer recht thut, iſt ihm angenehm.
Dies war (obgleich es hohe myſtiſche nur we-
nigen verſtehliche Toleranz iſt) dem blos ge-
woͤhnlichen und fuͤrs Haus toleranten Prediger
ſo gefunden, daß er mit einer Dreiſtigkeit ſchloß,
die dem Grafen ein wenig zu hart auffiel.

Ceremonien, ſagt’ er, ſind des Herzens
Haͤrtigkeit wegen, und da, nach Orts Umſtaͤn-
den, die erſten die beſten! —

Nicht alſo, lieber Gevatter, verſetzte der
Graf, etwas untolerant. Ceremonien, lieber

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[50/0056] na ihr in der Hoͤhe! Das Chriſtenthum, ſagt ich, iſt die einfachſte Religion auf Gottes wei- ten Erdboden, ſo wie der Geiſt einfach iſt. Sie kann Koͤrper annehmen, wie in der Schrift En- gel Koͤrper angenommen haben, und wie man von ſehr guten Menſchen, die gut wie Seelen ſind, ſagen koͤnnte: ſie haͤtten Koͤrper angenom- men. Freylich adoptirten Engel keinen andern, als menſchliche, als ſolche Koͤrper, die ſie im Griff hatten, die ihnen die naͤchſten waren. — Die chriſtliche Religion hat keinen Tempel, kein Haus, kein Obdach noͤthig, ſondern uͤberall, wo Luft und Sonn iſt, wo wir ſind und we- ben, iſt Gottes Stuhl, und die ihn anrufen, doͤrfen nicht das Geſicht drehen und wenden. Gott iſt uͤberall. Im Morgen und in Mitter- nacht. Wer recht thut, iſt ihm angenehm. Dies war (obgleich es hohe myſtiſche nur we- nigen verſtehliche Toleranz iſt) dem blos ge- woͤhnlichen und fuͤrs Haus toleranten Prediger ſo gefunden, daß er mit einer Dreiſtigkeit ſchloß, die dem Grafen ein wenig zu hart auffiel. Ceremonien, ſagt’ er, ſind des Herzens Haͤrtigkeit wegen, und da, nach Orts Umſtaͤn- den, die erſten die beſten! — Nicht alſo, lieber Gevatter, verſetzte der Graf, etwas untolerant. Ceremonien, lieber Ge-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/56>, abgerufen am 23.11.2024.