Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

der kaltbrandige alte Herr dagegen! Und
doch ist er Minens Vater. Sein Flick von
Litteratur macht es nicht aus. Wie, sage
selbst, wie hätte sich Herrmann zum Schwie-
gervater eines Ehrn Superintendenten ge-
schickt, wenn auch Mine seine Tochter zur
Superintendentin zu erkiesen gewesen? Wenn
auch? O vergib mir dieses wenn auch, und
oben die Frage: Hätte wohl Mine füg-
lich Superintendentin werden können
?
Ein bösartiges füglich. Ja sie hätte füg-
lich können. Ja, sie hätte können!

Du weist wohl, wie dein Vater sich zu är-
gern pflegte, wenn jemand Papier im Garten
viertheilte, wenn Papierstücke auf der Erde
lagen. "Papier," pflegt' er zu sagen, "ge-
"höret so wenig in den Garten, daß es das
"Auge beleidigt, so was im Freyen zu sehen.
"Weißt du was Künstlichers, ausser deinem
"Hemde, als Papier? Und doch muß erst
"dein Hemde alt werden, wenn Papier draus
"werden soll." In der Studirstube deines
Vaters war freylich mehr zerrissen, als ganz.
Da liegt der Mensch, sagt' er! -- wenn ich
ausfegen wollte, hieß es: laß ihn! Ich mei-
nes Orts, das weiß Gott, habe kein Blät-
chen entzweyet, und oft, wenn ich gern was

vertilgt

der kaltbrandige alte Herr dagegen! Und
doch iſt er Minens Vater. Sein Flick von
Litteratur macht es nicht aus. Wie, ſage
ſelbſt, wie haͤtte ſich Herrmann zum Schwie-
gervater eines Ehrn Superintendenten ge-
ſchickt, wenn auch Mine ſeine Tochter zur
Superintendentin zu erkieſen geweſen? Wenn
auch? O vergib mir dieſes wenn auch, und
oben die Frage: Haͤtte wohl Mine fuͤg-
lich Superintendentin werden koͤnnen
?
Ein boͤsartiges fuͤglich. Ja ſie haͤtte fuͤg-
lich koͤnnen. Ja, ſie haͤtte koͤnnen!

Du weiſt wohl, wie dein Vater ſich zu aͤr-
gern pflegte, wenn jemand Papier im Garten
viertheilte, wenn Papierſtuͤcke auf der Erde
lagen. „Papier,“ pflegt’ er zu ſagen, „ge-
„hoͤret ſo wenig in den Garten, daß es das
„Auge beleidigt, ſo was im Freyen zu ſehen.
„Weißt du was Kuͤnſtlichers, auſſer deinem
„Hemde, als Papier? Und doch muß erſt
„dein Hemde alt werden, wenn Papier draus
„werden ſoll.“ In der Studirſtube deines
Vaters war freylich mehr zerriſſen, als ganz.
Da liegt der Menſch, ſagt’ er! — wenn ich
ausfegen wollte, hieß es: laß ihn! Ich mei-
nes Orts, das weiß Gott, habe kein Blaͤt-
chen entzweyet, und oft, wenn ich gern was

vertilgt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0408" n="400"/>
der kaltbrandige alte Herr dagegen! Und<lb/>
doch i&#x017F;t er Minens Vater. Sein Flick von<lb/>
Litteratur macht es nicht aus. Wie, &#x017F;age<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, wie ha&#x0364;tte &#x017F;ich Herrmann zum Schwie-<lb/>
gervater eines Ehrn Superintendenten ge-<lb/>
&#x017F;chickt, wenn auch Mine &#x017F;eine Tochter zur<lb/>
Superintendentin zu erkie&#x017F;en gewe&#x017F;en? Wenn<lb/>
auch? O vergib mir die&#x017F;es <hi rendition="#fr">wenn</hi> auch, und<lb/>
oben die Frage: <hi rendition="#fr">Ha&#x0364;tte wohl Mine fu&#x0364;g-<lb/>
lich Superintendentin werden ko&#x0364;nnen</hi>?<lb/>
Ein bo&#x0364;sartiges fu&#x0364;glich. Ja &#x017F;ie ha&#x0364;tte fu&#x0364;g-<lb/>
lich ko&#x0364;nnen. Ja, &#x017F;ie ha&#x0364;tte ko&#x0364;nnen!</p><lb/>
        <p>Du wei&#x017F;t wohl, wie dein Vater &#x017F;ich zu a&#x0364;r-<lb/>
gern pflegte, wenn jemand Papier im Garten<lb/>
viertheilte, wenn Papier&#x017F;tu&#x0364;cke auf der Erde<lb/>
lagen. &#x201E;Papier,&#x201C; pflegt&#x2019; er zu &#x017F;agen, &#x201E;ge-<lb/>
&#x201E;ho&#x0364;ret &#x017F;o wenig in den Garten, daß es das<lb/>
&#x201E;Auge beleidigt, &#x017F;o was im Freyen zu &#x017F;ehen.<lb/>
&#x201E;Weißt du was Ku&#x0364;n&#x017F;tlichers, au&#x017F;&#x017F;er deinem<lb/>
&#x201E;Hemde, als Papier? Und doch muß er&#x017F;t<lb/>
&#x201E;dein Hemde alt werden, wenn Papier draus<lb/>
&#x201E;werden &#x017F;oll.&#x201C; In der Studir&#x017F;tube deines<lb/>
Vaters war freylich mehr zerri&#x017F;&#x017F;en, als ganz.<lb/>
Da liegt der Men&#x017F;ch, &#x017F;agt&#x2019; er! &#x2014; wenn ich<lb/>
ausfegen wollte, hieß es: laß ihn! Ich mei-<lb/>
nes Orts, das weiß Gott, habe kein Bla&#x0364;t-<lb/>
chen entzweyet, und oft, wenn ich gern was<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">vertilgt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[400/0408] der kaltbrandige alte Herr dagegen! Und doch iſt er Minens Vater. Sein Flick von Litteratur macht es nicht aus. Wie, ſage ſelbſt, wie haͤtte ſich Herrmann zum Schwie- gervater eines Ehrn Superintendenten ge- ſchickt, wenn auch Mine ſeine Tochter zur Superintendentin zu erkieſen geweſen? Wenn auch? O vergib mir dieſes wenn auch, und oben die Frage: Haͤtte wohl Mine fuͤg- lich Superintendentin werden koͤnnen? Ein boͤsartiges fuͤglich. Ja ſie haͤtte fuͤg- lich koͤnnen. Ja, ſie haͤtte koͤnnen! Du weiſt wohl, wie dein Vater ſich zu aͤr- gern pflegte, wenn jemand Papier im Garten viertheilte, wenn Papierſtuͤcke auf der Erde lagen. „Papier,“ pflegt’ er zu ſagen, „ge- „hoͤret ſo wenig in den Garten, daß es das „Auge beleidigt, ſo was im Freyen zu ſehen. „Weißt du was Kuͤnſtlichers, auſſer deinem „Hemde, als Papier? Und doch muß erſt „dein Hemde alt werden, wenn Papier draus „werden ſoll.“ In der Studirſtube deines Vaters war freylich mehr zerriſſen, als ganz. Da liegt der Menſch, ſagt’ er! — wenn ich ausfegen wollte, hieß es: laß ihn! Ich mei- nes Orts, das weiß Gott, habe kein Blaͤt- chen entzweyet, und oft, wenn ich gern was vertilgt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/408
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/408>, abgerufen am 22.11.2024.