Zeit, da sich der Justitzrath Nathanael zwey Stunden zuvor in dem Widdem (Pastorat) anmelden lies. Meine Leser wissen, daß ich Gretchen bat, ihn zu grüssen, und daß sie da- gegen fragte: mich? -- Ich küßte Gretchen nicht, da ich von hinnen zog, wohl aber, da ich vom besondren Grafen kam; wenigstens glaub ich es so. -- Nichts war mehr zu ver- muthen, als daß sich der Justitzrath seiner Anmeldung gemäß einfinden würde. -- Auf die Verlobung folgt die Hochzeit, wenn kein Einspruch geschiehet, wenn nicht wo der Wa- gen bricht, oder andere Hinderniße sich in den Weg legen. Nathanael kam wohl behalten in das Wirthshaus in L --, aus welchem er zuvor Kundschafter sandte, ob ich auch würk- lich schon abgereiset wäre? Und da er Ja zurück empfieng; kam er mit einer ganz frisch aufgepuderten Perüke, und so stattlich ausge- zieret, daß der Prediger sehr um Verzeihung bat, daß er ihn so alltäglich fände. Meine Leser wissen zwar schon, daß er seinen Erlaß erhalten; allein dies war ein Wort aus gu- tem Herzen, das auch oft zur Unzeit fällt. Nathanael war jetzt, da er seine Aufwartung in L -- machte, auf das allerunterthänigste Gesuch um seinen Erlaß noch nicht beschieden,
und
Zeit, da ſich der Juſtitzrath Nathanael zwey Stunden zuvor in dem Widdem (Paſtorat) anmelden lies. Meine Leſer wiſſen, daß ich Gretchen bat, ihn zu gruͤſſen, und daß ſie da- gegen fragte: mich? — Ich kuͤßte Gretchen nicht, da ich von hinnen zog, wohl aber, da ich vom beſondren Grafen kam; wenigſtens glaub ich es ſo. — Nichts war mehr zu ver- muthen, als daß ſich der Juſtitzrath ſeiner Anmeldung gemaͤß einfinden wuͤrde. — Auf die Verlobung folgt die Hochzeit, wenn kein Einſpruch geſchiehet, wenn nicht wo der Wa- gen bricht, oder andere Hinderniße ſich in den Weg legen. Nathanael kam wohl behalten in das Wirthshaus in L —, aus welchem er zuvor Kundſchafter ſandte, ob ich auch wuͤrk- lich ſchon abgereiſet waͤre? Und da er Ja zuruͤck empfieng; kam er mit einer ganz friſch aufgepuderten Peruͤke, und ſo ſtattlich ausge- zieret, daß der Prediger ſehr um Verzeihung bat, daß er ihn ſo alltaͤglich faͤnde. Meine Leſer wiſſen zwar ſchon, daß er ſeinen Erlaß erhalten; allein dies war ein Wort aus gu- tem Herzen, das auch oft zur Unzeit faͤllt. Nathanael war jetzt, da er ſeine Aufwartung in L — machte, auf das allerunterthaͤnigſte Geſuch um ſeinen Erlaß noch nicht beſchieden,
und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0316"n="310"/>
Zeit, da ſich der Juſtitzrath Nathanael zwey<lb/>
Stunden zuvor in dem Widdem (Paſtorat)<lb/>
anmelden lies. Meine Leſer wiſſen, daß ich<lb/>
Gretchen bat, ihn zu gruͤſſen, und daß ſie da-<lb/>
gegen fragte: <hirendition="#fr">mich?</hi>— Ich kuͤßte Gretchen<lb/>
nicht, da ich von hinnen zog, wohl aber, da<lb/>
ich vom beſondren Grafen kam; wenigſtens<lb/>
glaub ich es ſo. — Nichts war mehr zu ver-<lb/>
muthen, als daß ſich der Juſtitzrath ſeiner<lb/>
Anmeldung gemaͤß einfinden wuͤrde. — Auf<lb/>
die Verlobung folgt die Hochzeit, wenn kein<lb/>
Einſpruch geſchiehet, wenn nicht wo der Wa-<lb/>
gen bricht, oder andere Hinderniße ſich in den<lb/>
Weg legen. Nathanael kam wohl behalten<lb/>
in das Wirthshaus in L —, aus welchem er<lb/>
zuvor Kundſchafter ſandte, ob ich auch wuͤrk-<lb/>
lich ſchon abgereiſet waͤre? Und da er <hirendition="#fr">Ja</hi><lb/>
zuruͤck empfieng; kam er mit einer ganz friſch<lb/>
aufgepuderten Peruͤke, und ſo ſtattlich ausge-<lb/>
zieret, daß der Prediger ſehr um Verzeihung<lb/>
bat, daß er ihn ſo alltaͤglich faͤnde. Meine<lb/>
Leſer wiſſen zwar ſchon, daß er ſeinen Erlaß<lb/>
erhalten; allein dies war ein Wort aus gu-<lb/>
tem Herzen, das auch oft zur Unzeit faͤllt.<lb/>
Nathanael war jetzt, da er ſeine Aufwartung<lb/>
in L — machte, auf das allerunterthaͤnigſte<lb/>
Geſuch um ſeinen Erlaß noch nicht beſchieden,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[310/0316]
Zeit, da ſich der Juſtitzrath Nathanael zwey
Stunden zuvor in dem Widdem (Paſtorat)
anmelden lies. Meine Leſer wiſſen, daß ich
Gretchen bat, ihn zu gruͤſſen, und daß ſie da-
gegen fragte: mich? — Ich kuͤßte Gretchen
nicht, da ich von hinnen zog, wohl aber, da
ich vom beſondren Grafen kam; wenigſtens
glaub ich es ſo. — Nichts war mehr zu ver-
muthen, als daß ſich der Juſtitzrath ſeiner
Anmeldung gemaͤß einfinden wuͤrde. — Auf
die Verlobung folgt die Hochzeit, wenn kein
Einſpruch geſchiehet, wenn nicht wo der Wa-
gen bricht, oder andere Hinderniße ſich in den
Weg legen. Nathanael kam wohl behalten
in das Wirthshaus in L —, aus welchem er
zuvor Kundſchafter ſandte, ob ich auch wuͤrk-
lich ſchon abgereiſet waͤre? Und da er Ja
zuruͤck empfieng; kam er mit einer ganz friſch
aufgepuderten Peruͤke, und ſo ſtattlich ausge-
zieret, daß der Prediger ſehr um Verzeihung
bat, daß er ihn ſo alltaͤglich faͤnde. Meine
Leſer wiſſen zwar ſchon, daß er ſeinen Erlaß
erhalten; allein dies war ein Wort aus gu-
tem Herzen, das auch oft zur Unzeit faͤllt.
Nathanael war jetzt, da er ſeine Aufwartung
in L — machte, auf das allerunterthaͤnigſte
Geſuch um ſeinen Erlaß noch nicht beſchieden,
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/316>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.