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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Zeit, da sich der Justitzrath Nathanael zwey
Stunden zuvor in dem Widdem (Pastorat)
anmelden lies. Meine Leser wissen, daß ich
Gretchen bat, ihn zu grüssen, und daß sie da-
gegen fragte: mich? -- Ich küßte Gretchen
nicht, da ich von hinnen zog, wohl aber, da
ich vom besondren Grafen kam; wenigstens
glaub ich es so. -- Nichts war mehr zu ver-
muthen, als daß sich der Justitzrath seiner
Anmeldung gemäß einfinden würde. -- Auf
die Verlobung folgt die Hochzeit, wenn kein
Einspruch geschiehet, wenn nicht wo der Wa-
gen bricht, oder andere Hinderniße sich in den
Weg legen. Nathanael kam wohl behalten
in das Wirthshaus in L --, aus welchem er
zuvor Kundschafter sandte, ob ich auch würk-
lich schon abgereiset wäre? Und da er Ja
zurück empfieng; kam er mit einer ganz frisch
aufgepuderten Perüke, und so stattlich ausge-
zieret, daß der Prediger sehr um Verzeihung
bat, daß er ihn so alltäglich fände. Meine
Leser wissen zwar schon, daß er seinen Erlaß
erhalten; allein dies war ein Wort aus gu-
tem Herzen, das auch oft zur Unzeit fällt.
Nathanael war jetzt, da er seine Aufwartung
in L -- machte, auf das allerunterthänigste
Gesuch um seinen Erlaß noch nicht beschieden,

und

Zeit, da ſich der Juſtitzrath Nathanael zwey
Stunden zuvor in dem Widdem (Paſtorat)
anmelden lies. Meine Leſer wiſſen, daß ich
Gretchen bat, ihn zu gruͤſſen, und daß ſie da-
gegen fragte: mich? — Ich kuͤßte Gretchen
nicht, da ich von hinnen zog, wohl aber, da
ich vom beſondren Grafen kam; wenigſtens
glaub ich es ſo. — Nichts war mehr zu ver-
muthen, als daß ſich der Juſtitzrath ſeiner
Anmeldung gemaͤß einfinden wuͤrde. — Auf
die Verlobung folgt die Hochzeit, wenn kein
Einſpruch geſchiehet, wenn nicht wo der Wa-
gen bricht, oder andere Hinderniße ſich in den
Weg legen. Nathanael kam wohl behalten
in das Wirthshaus in L —, aus welchem er
zuvor Kundſchafter ſandte, ob ich auch wuͤrk-
lich ſchon abgereiſet waͤre? Und da er Ja
zuruͤck empfieng; kam er mit einer ganz friſch
aufgepuderten Peruͤke, und ſo ſtattlich ausge-
zieret, daß der Prediger ſehr um Verzeihung
bat, daß er ihn ſo alltaͤglich faͤnde. Meine
Leſer wiſſen zwar ſchon, daß er ſeinen Erlaß
erhalten; allein dies war ein Wort aus gu-
tem Herzen, das auch oft zur Unzeit faͤllt.
Nathanael war jetzt, da er ſeine Aufwartung
in L — machte, auf das allerunterthaͤnigſte
Geſuch um ſeinen Erlaß noch nicht beſchieden,

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[310/0316] Zeit, da ſich der Juſtitzrath Nathanael zwey Stunden zuvor in dem Widdem (Paſtorat) anmelden lies. Meine Leſer wiſſen, daß ich Gretchen bat, ihn zu gruͤſſen, und daß ſie da- gegen fragte: mich? — Ich kuͤßte Gretchen nicht, da ich von hinnen zog, wohl aber, da ich vom beſondren Grafen kam; wenigſtens glaub ich es ſo. — Nichts war mehr zu ver- muthen, als daß ſich der Juſtitzrath ſeiner Anmeldung gemaͤß einfinden wuͤrde. — Auf die Verlobung folgt die Hochzeit, wenn kein Einſpruch geſchiehet, wenn nicht wo der Wa- gen bricht, oder andere Hinderniße ſich in den Weg legen. Nathanael kam wohl behalten in das Wirthshaus in L —, aus welchem er zuvor Kundſchafter ſandte, ob ich auch wuͤrk- lich ſchon abgereiſet waͤre? Und da er Ja zuruͤck empfieng; kam er mit einer ganz friſch aufgepuderten Peruͤke, und ſo ſtattlich ausge- zieret, daß der Prediger ſehr um Verzeihung bat, daß er ihn ſo alltaͤglich faͤnde. Meine Leſer wiſſen zwar ſchon, daß er ſeinen Erlaß erhalten; allein dies war ein Wort aus gu- tem Herzen, das auch oft zur Unzeit faͤllt. Nathanael war jetzt, da er ſeine Aufwartung in L — machte, auf das allerunterthaͤnigſte Geſuch um ſeinen Erlaß noch nicht beſchieden, und

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/316>, abgerufen am 22.11.2024.