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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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sehens. Kein vernünftiger Arzt entdeckt dem
Patienten die erste Erholungspur. Dies wür-
de heißen, auf dem Richtplaz Pardon erthei-
len. Alle Affekten sind schon an sich dem Men-
schen schädlich, Freude so gut als Leid. Ein
Stück von Fieber ist immer dabey, und wer
ist wohl zu solchen plözlichen Uebergängen
aufgelegt? Nun war unser Absalon so weit
in der Besserung gediehen, daß er sich nicht
mehr auf dem Richtplatz befand, und nun kam
der Arzt mit der frohen Nachricht, daß er und
der Tod geschiedene Leute wären. Leben ist
ein frohes Wort! ich setze ewig dazu, wenn
ich mich freuen soll. Bey den meisten Leuten
ist das Wort leben schon genug. --

Froh blickt' unser Kranke auf, und sein
Haupthaar war das erste, mit dem er sich be-
freuen wolte. Er war mit ihm am mehrsten
verwandt -- allein es war dahin, und siehe
da, er wollte nicht leben. Man hatte ihn zu
voreilig versichert, daß seine Haare entweder
nie wieder, oder wenigstens sehr spät, aufgehen
würden, und wie konnt' er leben? Er hatte, wie
Simson, seine Stärke in den Haaren. Man
nannte ihm Völker, alter und neuer Zeit, die
sich zur Zierde, der Haare entäußerten; allein
nichts -- er ward krank und starb so ruhig,

als

ſehens. Kein vernuͤnftiger Arzt entdeckt dem
Patienten die erſte Erholungſpur. Dies wuͤr-
de heißen, auf dem Richtplaz Pardon erthei-
len. Alle Affekten ſind ſchon an ſich dem Men-
ſchen ſchaͤdlich, Freude ſo gut als Leid. Ein
Stuͤck von Fieber iſt immer dabey, und wer
iſt wohl zu ſolchen ploͤzlichen Uebergaͤngen
aufgelegt? Nun war unſer Abſalon ſo weit
in der Beſſerung gediehen, daß er ſich nicht
mehr auf dem Richtplatz befand, und nun kam
der Arzt mit der frohen Nachricht, daß er und
der Tod geſchiedene Leute waͤren. Leben iſt
ein frohes Wort! ich ſetze ewig dazu, wenn
ich mich freuen ſoll. Bey den meiſten Leuten
iſt das Wort leben ſchon genug. —

Froh blickt’ unſer Kranke auf, und ſein
Haupthaar war das erſte, mit dem er ſich be-
freuen wolte. Er war mit ihm am mehrſten
verwandt — allein es war dahin, und ſiehe
da, er wollte nicht leben. Man hatte ihn zu
voreilig verſichert, daß ſeine Haare entweder
nie wieder, oder wenigſtens ſehr ſpaͤt, aufgehen
wuͤrden, und wie konnt’ er leben? Er hatte, wie
Simſon, ſeine Staͤrke in den Haaren. Man
nannte ihm Voͤlker, alter und neuer Zeit, die
ſich zur Zierde, der Haare entaͤußerten; allein
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[24/0030] ſehens. Kein vernuͤnftiger Arzt entdeckt dem Patienten die erſte Erholungſpur. Dies wuͤr- de heißen, auf dem Richtplaz Pardon erthei- len. Alle Affekten ſind ſchon an ſich dem Men- ſchen ſchaͤdlich, Freude ſo gut als Leid. Ein Stuͤck von Fieber iſt immer dabey, und wer iſt wohl zu ſolchen ploͤzlichen Uebergaͤngen aufgelegt? Nun war unſer Abſalon ſo weit in der Beſſerung gediehen, daß er ſich nicht mehr auf dem Richtplatz befand, und nun kam der Arzt mit der frohen Nachricht, daß er und der Tod geſchiedene Leute waͤren. Leben iſt ein frohes Wort! ich ſetze ewig dazu, wenn ich mich freuen ſoll. Bey den meiſten Leuten iſt das Wort leben ſchon genug. — Froh blickt’ unſer Kranke auf, und ſein Haupthaar war das erſte, mit dem er ſich be- freuen wolte. Er war mit ihm am mehrſten verwandt — allein es war dahin, und ſiehe da, er wollte nicht leben. Man hatte ihn zu voreilig verſichert, daß ſeine Haare entweder nie wieder, oder wenigſtens ſehr ſpaͤt, aufgehen wuͤrden, und wie konnt’ er leben? Er hatte, wie Simſon, ſeine Staͤrke in den Haaren. Man nannte ihm Voͤlker, alter und neuer Zeit, die ſich zur Zierde, der Haare entaͤußerten; allein nichts — er ward krank und ſtarb ſo ruhig, als

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/30>, abgerufen am 22.11.2024.