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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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dern in Rücksicht dieser Beschämung. -- Der
vierte riß würklich endlich die Schürze herab --
wie konnte der Traurige lange widerstehen?
Schmerz macht schwach. -- Unser weinende
machte indeßen die Augen ganz dicht zu, und
da stand er jämmerlich! Der erste nahm dem
vierten die Schürze aus der Hand und gab
sie dem Weinenden wieder. -- In dieser Hand-
lung traf uns der Graf, dem des Predigers
und meine Ankunft gemeldet war! -- Alles
blieb, wie es da stand! Niemand kam dieses
Ueberfalls wegen aus seiner Stellung. Nie-
mand schlich sich an seine Werkstäte, alles
schien an Ort und Stelle, selbst unser Betrübte
nicht ausgenommen, der Mittelpunkt dieser
Scene. Was da? fragte der Graf, nachdem
er den Prediger und mich mit einem guten
Morgen begrüßt oder beherziget hatte. -- Der
Prediger nahm das Wort -- Ferdinand hat
den Einwohner des Hauses sterben gesehen,
das er bauet! Nun, sagte der Graf, Faßung,
Ferdinand! Begrab' ich denn nicht alle, die
ich sterben sehe? Leim' ich nicht hier und da
selbst ein Leistchen ans Sarg? Der junge
Mensch, der hier einziehen soll, hatte ein
frommes, gutes, edles, warmes Mädchen, das
ihm starb. Sie starb und er -- ihr nach.

Gott!

dern in Ruͤckſicht dieſer Beſchaͤmung. — Der
vierte riß wuͤrklich endlich die Schuͤrze herab —
wie konnte der Traurige lange widerſtehen?
Schmerz macht ſchwach. — Unſer weinende
machte indeßen die Augen ganz dicht zu, und
da ſtand er jaͤmmerlich! Der erſte nahm dem
vierten die Schuͤrze aus der Hand und gab
ſie dem Weinenden wieder. — In dieſer Hand-
lung traf uns der Graf, dem des Predigers
und meine Ankunft gemeldet war! — Alles
blieb, wie es da ſtand! Niemand kam dieſes
Ueberfalls wegen aus ſeiner Stellung. Nie-
mand ſchlich ſich an ſeine Werkſtaͤte, alles
ſchien an Ort und Stelle, ſelbſt unſer Betruͤbte
nicht ausgenommen, der Mittelpunkt dieſer
Scene. Was da? fragte der Graf, nachdem
er den Prediger und mich mit einem guten
Morgen begruͤßt oder beherziget hatte. — Der
Prediger nahm das Wort — Ferdinand hat
den Einwohner des Hauſes ſterben geſehen,
das er bauet! Nun, ſagte der Graf, Faßung,
Ferdinand! Begrab’ ich denn nicht alle, die
ich ſterben ſehe? Leim’ ich nicht hier und da
ſelbſt ein Leiſtchen ans Sarg? Der junge
Menſch, der hier einziehen ſoll, hatte ein
frommes, gutes, edles, warmes Maͤdchen, das
ihm ſtarb. Sie ſtarb und er — ihr nach.

Gott!
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[22/0028] dern in Ruͤckſicht dieſer Beſchaͤmung. — Der vierte riß wuͤrklich endlich die Schuͤrze herab — wie konnte der Traurige lange widerſtehen? Schmerz macht ſchwach. — Unſer weinende machte indeßen die Augen ganz dicht zu, und da ſtand er jaͤmmerlich! Der erſte nahm dem vierten die Schuͤrze aus der Hand und gab ſie dem Weinenden wieder. — In dieſer Hand- lung traf uns der Graf, dem des Predigers und meine Ankunft gemeldet war! — Alles blieb, wie es da ſtand! Niemand kam dieſes Ueberfalls wegen aus ſeiner Stellung. Nie- mand ſchlich ſich an ſeine Werkſtaͤte, alles ſchien an Ort und Stelle, ſelbſt unſer Betruͤbte nicht ausgenommen, der Mittelpunkt dieſer Scene. Was da? fragte der Graf, nachdem er den Prediger und mich mit einem guten Morgen begruͤßt oder beherziget hatte. — Der Prediger nahm das Wort — Ferdinand hat den Einwohner des Hauſes ſterben geſehen, das er bauet! Nun, ſagte der Graf, Faßung, Ferdinand! Begrab’ ich denn nicht alle, die ich ſterben ſehe? Leim’ ich nicht hier und da ſelbſt ein Leiſtchen ans Sarg? Der junge Menſch, der hier einziehen ſoll, hatte ein frommes, gutes, edles, warmes Maͤdchen, das ihm ſtarb. Sie ſtarb und er — ihr nach. Gott!

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/28>, abgerufen am 29.03.2024.