Es kam zwar in unsern Lektionen der Herr Graf sehr oft und viel vor; indessen dachten wir nicht anders an ihn, als exempli gratia (zum Beyspiel.) Freylich hätten wir auch auf einen Besuch, den wir ihm schuldig waren, fallen sollen, und des Predigers Pflicht wär' es vorzüglich gewesen, sich und mich daran zu erinnern, da der Graf ein Stück von sei- nem Kirchenpatron und sein Wohlthäter war. Auf einmal ein Brief mit Plerösen vom Hoch- gebohrnen Nachbar. Eine Einladung auf morgen, sagt ich, -- das nicht, erwiederte der Pastor und bemerkte zugleich, daß der Graf niemals Jemanden auf einen gewißen bestimm- ten Tag zu sich bäte. Er lebt in diesem Stück, setzte der Prediger hinzu, wie man stirbt. Es muß ihm alles unvermuthet kommen. Wer kann, soll er sagen, einen über zwey, drey Tage, auch wohl mehr, zur Mahlzeit einladen? Diese Nacht kann man deinen Appetit von dir fordern! Sehet zu, wachet, denn ihr wi- ßet nicht, wann es Zeit ist. Wer sterben lernt, muß so und nicht anders leben, sey des Gra- fen Losung! -- die er übte, wo es sich nur irgend üben ließe.
Wie gesagt, der Brief war nur eine Er- innerung an unser Versprechen. Wenn be-
wir-
Es kam zwar in unſern Lektionen der Herr Graf ſehr oft und viel vor; indeſſen dachten wir nicht anders an ihn, als exempli gratia (zum Beyſpiel.) Freylich haͤtten wir auch auf einen Beſuch, den wir ihm ſchuldig waren, fallen ſollen, und des Predigers Pflicht waͤr’ es vorzuͤglich geweſen, ſich und mich daran zu erinnern, da der Graf ein Stuͤck von ſei- nem Kirchenpatron und ſein Wohlthaͤter war. Auf einmal ein Brief mit Pleroͤſen vom Hoch- gebohrnen Nachbar. Eine Einladung auf morgen, ſagt ich, — das nicht, erwiederte der Paſtor und bemerkte zugleich, daß der Graf niemals Jemanden auf einen gewißen beſtimm- ten Tag zu ſich baͤte. Er lebt in dieſem Stuͤck, ſetzte der Prediger hinzu, wie man ſtirbt. Es muß ihm alles unvermuthet kommen. Wer kann, ſoll er ſagen, einen uͤber zwey, drey Tage, auch wohl mehr, zur Mahlzeit einladen? Dieſe Nacht kann man deinen Appetit von dir fordern! Sehet zu, wachet, denn ihr wi- ßet nicht, wann es Zeit iſt. Wer ſterben lernt, muß ſo und nicht anders leben, ſey des Gra- fen Loſung! — die er uͤbte, wo es ſich nur irgend uͤben ließe.
Wie geſagt, der Brief war nur eine Er- innerung an unſer Verſprechen. Wenn be-
wir-
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Es kam zwar in unſern Lektionen der Herr
Graf ſehr oft und viel vor; indeſſen dachten
wir nicht anders an ihn, als exempli gratia
(zum Beyſpiel.) Freylich haͤtten wir auch auf
einen Beſuch, den wir ihm ſchuldig waren,
fallen ſollen, und des Predigers Pflicht waͤr’
es vorzuͤglich geweſen, ſich und mich daran
zu erinnern, da der Graf ein Stuͤck von ſei-
nem Kirchenpatron und ſein Wohlthaͤter war.
Auf einmal ein Brief mit Pleroͤſen vom Hoch-
gebohrnen Nachbar. Eine Einladung auf
morgen, ſagt ich, — das nicht, erwiederte der
Paſtor und bemerkte zugleich, daß der Graf
niemals Jemanden auf einen gewißen beſtimm-
ten Tag zu ſich baͤte. Er lebt in dieſem Stuͤck,
ſetzte der Prediger hinzu, wie man ſtirbt. Es
muß ihm alles unvermuthet kommen. Wer
kann, ſoll er ſagen, einen uͤber zwey, drey
Tage, auch wohl mehr, zur Mahlzeit einladen?
Dieſe Nacht kann man deinen Appetit von
dir fordern! Sehet zu, wachet, denn ihr wi-
ßet nicht, wann es Zeit iſt. Wer ſterben lernt,
muß ſo und nicht anders leben, ſey des Gra-
fen Loſung! — die er uͤbte, wo es ſich nur
irgend uͤben ließe.
Wie geſagt, der Brief war nur eine Er-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/24>, abgerufen am 23.11.2024.
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