die Sünde! wie sie wolt und nicht konnte! Wo ist ihr Sieg? Und wenn der Zweifel- kopf der Vernunft, und wenn das eigene Herz schüttelt, und spricht lauter Nein! Er weiß! -- Zwar ehrt er den Namen Got- tes unter dem Patent, das die Vernunft vor- zeiget, er läßt ihr ein freyes Votum; allein er verlangt auch eins. Was weiß die Ver- nunft von der Zusammennehmung dieses und jenes Lebens, dem ersten und zweyten Theil des Menschen: von unsern Schicksalen, vom er- sten Menschen? Von der Sprache, dem göttlichen Unterricht, bis auf die Kleider zu? --
Nicht so, nicht so ist die Vernunft im Le- ben und im Tode? Der Christ weiß, sein Tod sey nur Verwandlung, Verklärung, me- lior compositio ohne grammaticalische Fehler, ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas. Alles schön gegeben, vortreflich ausgedruckt. Die zweyte Auflage, und auch die, so mit ihm aus einem Gesangbuch sangen, in einer Bi- bel lasen, auch die, wie er. Was traurst du, arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein Meister spricht: weine nicht! Zwar er- weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn auch die Erweckten sind wieder gestorben, oder
was
die Suͤnde! wie ſie wolt und nicht konnte! Wo iſt ihr Sieg? Und wenn der Zweifel- kopf der Vernunft, und wenn das eigene Herz ſchuͤttelt, und ſpricht lauter Nein! Er weiß! — Zwar ehrt er den Namen Got- tes unter dem Patent, das die Vernunft vor- zeiget, er laͤßt ihr ein freyes Votum; allein er verlangt auch eins. Was weiß die Ver- nunft von der Zuſammennehmung dieſes und jenes Lebens, dem erſten und zweyten Theil des Menſchen: von unſern Schickſalen, vom er- ſten Menſchen? Von der Sprache, dem goͤttlichen Unterricht, bis auf die Kleider zu? —
Nicht ſo, nicht ſo iſt die Vernunft im Le- ben und im Tode? Der Chriſt weiß, ſein Tod ſey nur Verwandlung, Verklaͤrung, me- lior compoſitio ohne grammaticaliſche Fehler, ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas. Alles ſchoͤn gegeben, vortreflich ausgedruckt. Die zweyte Auflage, und auch die, ſo mit ihm aus einem Geſangbuch ſangen, in einer Bi- bel laſen, auch die, wie er. Was traurſt du, arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein Meiſter ſpricht: weine nicht! Zwar er- weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn auch die Erweckten ſind wieder geſtorben, oder
was
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0218"n="212"/>
die Suͤnde! wie ſie wolt und nicht konnte!<lb/>
Wo iſt ihr Sieg? Und wenn der Zweifel-<lb/>
kopf der Vernunft, und wenn das eigene<lb/>
Herz ſchuͤttelt, und ſpricht <hirendition="#fr">lauter Nein!</hi><lb/>
Er weiß! — Zwar ehrt er den Namen Got-<lb/>
tes unter dem Patent, das die Vernunft vor-<lb/>
zeiget, er laͤßt ihr ein freyes Votum; allein<lb/>
er verlangt auch eins. Was weiß die Ver-<lb/>
nunft von der Zuſammennehmung dieſes und<lb/>
jenes Lebens, dem erſten und zweyten Theil des<lb/>
Menſchen: von unſern Schickſalen, vom er-<lb/>ſten Menſchen? Von der Sprache, dem<lb/>
goͤttlichen Unterricht, bis auf die Kleider<lb/>
zu? —</p><lb/><p>Nicht ſo, nicht ſo iſt die Vernunft im Le-<lb/>
ben und im Tode? Der Chriſt weiß, ſein<lb/>
Tod ſey nur Verwandlung, Verklaͤrung, <hirendition="#aq">me-<lb/>
lior compoſitio</hi> ohne grammaticaliſche Fehler,<lb/>
ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas.<lb/>
Alles ſchoͤn gegeben, vortreflich ausgedruckt.<lb/>
Die zweyte Auflage, und auch die, ſo mit ihm<lb/>
aus einem Geſangbuch ſangen, in einer Bi-<lb/>
bel laſen, auch die, wie er. Was traurſt du,<lb/>
arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein<lb/>
Meiſter ſpricht: <hirendition="#fr">weine nicht!</hi> Zwar er-<lb/>
weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn<lb/>
auch die Erweckten ſind wieder geſtorben, oder<lb/><fwplace="bottom"type="catch">was</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[212/0218]
die Suͤnde! wie ſie wolt und nicht konnte!
Wo iſt ihr Sieg? Und wenn der Zweifel-
kopf der Vernunft, und wenn das eigene
Herz ſchuͤttelt, und ſpricht lauter Nein!
Er weiß! — Zwar ehrt er den Namen Got-
tes unter dem Patent, das die Vernunft vor-
zeiget, er laͤßt ihr ein freyes Votum; allein
er verlangt auch eins. Was weiß die Ver-
nunft von der Zuſammennehmung dieſes und
jenes Lebens, dem erſten und zweyten Theil des
Menſchen: von unſern Schickſalen, vom er-
ſten Menſchen? Von der Sprache, dem
goͤttlichen Unterricht, bis auf die Kleider
zu? —
Nicht ſo, nicht ſo iſt die Vernunft im Le-
ben und im Tode? Der Chriſt weiß, ſein
Tod ſey nur Verwandlung, Verklaͤrung, me-
lior compoſitio ohne grammaticaliſche Fehler,
ohne Flecken, ohne Runzel oder des Etwas.
Alles ſchoͤn gegeben, vortreflich ausgedruckt.
Die zweyte Auflage, und auch die, ſo mit ihm
aus einem Geſangbuch ſangen, in einer Bi-
bel laſen, auch die, wie er. Was traurſt du,
arme Wittwe, um den einzigen Sohn, mein
Meiſter ſpricht: weine nicht! Zwar er-
weckt er nicht mehr einzeln die Todten, denn
auch die Erweckten ſind wieder geſtorben, oder
was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/218>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.