Ende. Wir werden, das heißt: wir hören auf zu seyn. Wir sind, das heißt: wir sterben. Wenn wir gegessen haben, stehen wir auf, und wenn wir gewacht haben, gehen wir, wie alles, was lebet und webt, zur Ruhe. Die Sonne gehet auf und unter, und der Mensch ihr nach. Sich grämen, daß wir sterben müssen, heißt: sich grämen, daß wir sind. Durch Philosophie, der man durch Ton und Gebehrde nachzuhelfen verbunden ist, kann man den Tod besiegen. So kann man des Todes Bitterkeit vertreiben, und, wenn Noth am Mann ist, selbst für Ehre und Vaterland sein Haupt hingeben, wie Johan- nes sein Haupt zum Schauessen. Eine gräs- liche Melone auf der Tafel eines Tyrannen! Nicht, wer überwindet, sondern wer so viel thut, als er weiß und kann, ist Held. Wohlan denn, laßt uns alle Kräfte zusammenraffen und uns anspannen, um dem Tode, dem Fürsten der Finsternis, stattlichen Widerstand zu thun, und das Feld zu behalten. Unser Leben ist ein Quodlibet von Abwechselungen, ein Aprill- tag, und wenn Thoren es gleich für Mangel der Lebensart halten, an den Tod zu denken; so haben doch von je her kluge Leute Todes- betrachtungen, als richtige Proben eines gut-
gerech-
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Ende. Wir werden, das heißt: wir hoͤren auf zu ſeyn. Wir ſind, das heißt: wir ſterben. Wenn wir gegeſſen haben, ſtehen wir auf, und wenn wir gewacht haben, gehen wir, wie alles, was lebet und webt, zur Ruhe. Die Sonne gehet auf und unter, und der Menſch ihr nach. Sich graͤmen, daß wir ſterben muͤſſen, heißt: ſich graͤmen, daß wir ſind. Durch Philoſophie, der man durch Ton und Gebehrde nachzuhelfen verbunden iſt, kann man den Tod beſiegen. So kann man des Todes Bitterkeit vertreiben, und, wenn Noth am Mann iſt, ſelbſt fuͤr Ehre und Vaterland ſein Haupt hingeben, wie Johan- nes ſein Haupt zum Schaueſſen. Eine graͤs- liche Melone auf der Tafel eines Tyrannen! Nicht, wer uͤberwindet, ſondern wer ſo viel thut, als er weiß und kann, iſt Held. Wohlan denn, laßt uns alle Kraͤfte zuſammenraffen und uns anſpannen, um dem Tode, dem Fuͤrſten der Finſternis, ſtattlichen Widerſtand zu thun, und das Feld zu behalten. Unſer Leben iſt ein Quodlibet von Abwechſelungen, ein Aprill- tag, und wenn Thoren es gleich fuͤr Mangel der Lebensart halten, an den Tod zu denken; ſo haben doch von je her kluge Leute Todes- betrachtungen, als richtige Proben eines gut-
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Ende. Wir werden, das heißt: wir hoͤren
auf zu ſeyn. Wir ſind, das heißt: wir ſterben.
Wenn wir gegeſſen haben, ſtehen wir auf,
und wenn wir gewacht haben, gehen wir,
wie alles, was lebet und webt, zur Ruhe.
Die Sonne gehet auf und unter, und der
Menſch ihr nach. Sich graͤmen, daß wir
ſterben muͤſſen, heißt: ſich graͤmen, daß wir
ſind. Durch Philoſophie, der man durch
Ton und Gebehrde nachzuhelfen verbunden
iſt, kann man den Tod beſiegen. So kann
man des Todes Bitterkeit vertreiben, und,
wenn Noth am Mann iſt, ſelbſt fuͤr Ehre und
Vaterland ſein Haupt hingeben, wie Johan-
nes ſein Haupt zum Schaueſſen. Eine graͤs-
liche Melone auf der Tafel eines Tyrannen!
Nicht, wer uͤberwindet, ſondern wer ſo viel
thut, als er weiß und kann, iſt Held. Wohlan
denn, laßt uns alle Kraͤfte zuſammenraffen und
uns anſpannen, um dem Tode, dem Fuͤrſten
der Finſternis, ſtattlichen Widerſtand zu thun,
und das Feld zu behalten. Unſer Leben iſt
ein Quodlibet von Abwechſelungen, ein Aprill-
tag, und wenn Thoren es gleich fuͤr Mangel
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/173>, abgerufen am 23.11.2024.
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